Über die Unistadt des Südens, Valdivia, wussten wir eigentlich nicht viel außer „Hafenstadt und German-Chilean Beer“. Und hätten wir nicht irre Glück gehabt, zwei Tage mit unserem eigenen, multitalentierten Guide Sergio zu verbringen, wäre es dabei wahrscheinlich auch geblieben. Daran merkt man mal wieder, was es doch für einen Unterscheid macht, wenn einem ein Einheimischer seinen Ort näherbringt. Aber wie wir zu Sergio kamen, dazu gleich mehr…

Von Pucon nach Valdivia ist es eine eher holprige Angelegenheit; zumindest die letzten 1 ½ Stunden schleppten sich vor lauter staubigen, nicht enden wollenden Staus nur so dahin. Und das, wo wir doch zum ersten Mal unsere hospedaje-Vermieter am Bahnhof kennenlernen sollten. Der Sohn der Pensionsvermieterin wartete nämlich pünktlich 19 Uhr am Busbahnhof auf uns und wir kamen natürlich über eine Stunde zu spät.

Das erste Mal in einer hospedaje

Eine hospedaje ist wie eine Art private Zimmervermietung. Man teilt sich mit vielen anderen Leuten quasi eine Wohnung mit Küche und Bad. Jeder bekommt im besten Falle einen Zimmerschlüssel und gut ist’s. Den Tipp hat Corinna von einem Reisenden erhalten – maximaler Pluspunkt ist allerdings Spanisch. Denn so reisen die Chilenen, wenn ihnen Hotels zu teuer sind.

Am Busbahnhof angekommen, erkannte uns besagter Abholservice – Sergio – dank des What’s App-Bildes, das ihm Corinna zuvor geschickt hatte und begrüßte uns auf Deutsch (!). Wie sich herausstellte, scheint Sergio ein Sprachengenie zu sein. Neben Spanisch und Englisch spricht er nämlich auch Französisch und Deutsch fließend. Und Deutsch habe er in nur 3 Semestern an der Uni gelernt. Puh, das muss ihm erst einmal jemand nachmachen.

Er hat uns gleich zu Muttis Bleibe geführt und Mama Evita hat uns gleich in schnellstem Spanisch begrüßt, etwas hektisch von „gleich zahlen“ und 30.000 Pesos für alle anstatt der vereinbarten 7.500 Pesos für jeden erzählt. Wir, etwas verwirrt ob des Preisanstiegs haben uns das kleine Zimmerchen angeschaut und sie erklärte den Preis mit dem eigenen Bad, das wir wohl hätten (von dem wir bis dato nichts wussten). Aber so sei es. Dann noch eine Reihe Papierkram (Name, Passportnummer, Telefonnummer), Schlüssel erklären (uff, was hätten wir da besser aufpassen sollen. Chilenische Schließmechanismen missachten ihre Funktion völlig), WLAN Passwort und fertig.

Die Küche war eher spartanisch eingerichtet (Handtücher zum Abtrocknen, funktionierende Herdplatten und Messer Mangelware) und Sitzmöglichkeiten sind ja auch so 90er. Stehimbiss ist ja auch nett. 🙂

Dafür die erste Doppelbett-Premiere für uns seit Ankunft in Chile. Seliger Schlaf trotz Hauptstraße. Alles gut. Wahrscheinlich alles chilenischer Lifestyle. Wir maßen uns nicht an, Vergleiche zu ziehen. Von dem fast non-existenten Gehalt mit dem mitteleuropäischen Preisniveau hatten wir ja schon in unserem Santiago-Beitrag berichtet. Wie die Chilenen das packen, ist uns schleierhaft.

Ein Abendspaziergang durch Valdivia

Unser Smalltalk mit Sergio vom Busbahnhof bis zu Mama Evita’s Hospedaje scheint uns allen so gut gefallen zu haben, dass wir kurzum beschlossen, gemeinsam den Abend zu verbringen. Valdivia bei Nacht. Mit Mini-Abstecher bei Sergio, damit er aus dem Fitnessstudio-Klamotten ins Freizeitoutfit wechseln konnte. Mit dem Auto ging’s also ein paar Ecken weiter zu ihm. Während der Fahrt erzählte er uns allerhand super spannender Sachen und Projekte, die er mit seinen zarten 24 Jahren schon gemacht hatte. So ist er gerade dabei, sein zweites Buch zu veröffentlichen. Thematik: Chiles politisches System und Fehlentscheidungen plus Auswirkungen. In Kurzgeschichten-Form. Harter Tobak. Aber Chiles Geschichte widmen wir uns ein anderes Mal. Das reicht noch für einen kompletten Beitrag… von Vulkanausbrüchen, Tsunamis, verschütteten Bergleuten, Pinochet, Kupfer-Ausbeutung, kulturellem Erbe von Pablo Neruda und Gabriella Mistral, den Mapuche und der Kolonialzeit, und und und.

Sergio ist gelernter Journalist, studiert aber noch einmal Psychologie, weil da wohl der Lohn stimmt. Er hat eine Menge Talente, darunter auch das Gitarre spielen und singen. Eine kleine Privatsession hat er uns bei sich zu Hause gegeben. Wie ein Singer-Songwriter stilecht in Jeanslook-Komplettausstattung. Das muss den Ladies wohl gefallen, denn von Liebeskummer und seinem Schicksal mit Frauen kann er wohl einiges niederschreiben. Mit einem Augenzwinkern erzählt er uns, dass er mit seinen blauen Augen (dank französischer Vorfahren) immer gut bei der Damenwelt ankommt. Ein echter Türöffner, wo sich doch seine Jungs beim Flirten immer so anstrengen müssen.

Wieder mit dem Auto an der hospedaje angekommen, schlenderten wir zusammen ins Stadtzentrum, halfen unterwegs noch einem Mann sein Auto anzuschieben, und haben Sergio allerhand zur Stadt und zum Land ausgefragt. So verpassen wir Valdivias Jahreshighlight, das Bierfest (Originaltitel), um 4 Tage. (Aber die Unterkünfte sind eh restlos ausgebucht.) Die chilenische Oktoberfest-Variante zieht Chilenen aus dem ganzen Süden und der Mitte in die Stadt.

An unserem Wochenende wurde gerade „La Reina de Valdivia“ gewählt, die Schönheitskönigin. Mitmachen können zwölf Mädchen ab 18 Jahren, die in der Stadt geboren und aufgewachsen sind. Die Siegerin gewinnt ein Auto und trägt ein Jahr lang den Titel mit sich herum. Wer es schlussendlich geworden ist, haben wir leider verpasst. Da saßen wir gerade in einer Bar, aber wir freuen uns natürlich für die glückliche Neuwagen-Besitzerin.

Das höchste Gebäude der Stadt ist ein Hotel mit Skybar und Casino. Die Skybar ist ziemlich elegant und hat große Fenster für einen klasse Ausblick. Zum Trinken sind wir allerdings woanders hin, bzw. wollten wir. Sergios Tipp (der mit dem Lonely Planet übereinstimmt) ist die Restobar „La última frontéra“ (Die letzte Grenze). Künstlerisch angehaucht und proppenvoll. Also sind wir weiter über die Brücke zur anderen Stadtseite und in einem kleinen, netten Laden gelandet, wo wir „Nordic Mist“ (Ginger Ale) und natürlich das stadtbekannte Bier „Kunstmann“ getrunken haben. Laut Björns Aussage wohl ein ganz gutes Bier…

Gegessen hatten wir zuvor in einem Laden, der u.a. auch „completos“ anbietet, was für Chilenen ungefähr das ist, was der Döner für die Deutschen ist. In der traditionellen Variante ist ein Hotdog gefüllt mit Advocadostampf, Tomatenstückchen und viel Mayo. Es gibt aber diverse Abwandlungen, auch die alemán-Variante mit Sauerkraut.

Nach einem langen Tag haben wir uns dann voneinander verabschiedet, uns für 17:30 Uhr am nächsten Tag wieder verabredet und sind müde schlafen gegangen.

Tagsüber in Valdivia – Von Zeltkauf bis Parklauf

Unser Tag startete mit einer Stunde Laufmarsch zum Sodimac, dem chilenischen Obi/Hellweg. Denn die Unterkünfte gehen dermaßen ins Geld, das wir uns überlegt haben, ein Zelt für uns Drei zu holen. Und die gibt’s laut Internet dort. Nach einer Stunde erschien der Baumarkt dann auch endlich vor unseren Augen und hatte tatsächlich eine kleine und preiswerte Zeltauswahl! Wir tauften unser 30€-Zelt für 4 Personen auf den Namen des Verkäufers – eine einzige Parodie eines Namens – Johnny Müller. Der weder Deutsch noch Englisch sprach, aber ziemlich nett schien.

Den Weg zurück haben wir uns ein collectivo (ein Sammeltaxi) für 500 Pesos p.P. gegönnt (nicht mal einen Euro). Der normale Taxifahrer vorm Baumarkt-Eingang wollte 1000 Pesos p.P. von uns.

Lecker Fisch überall

Die Stadt mit Hafen ist natürlich auch berühmt für ihre Fischgerichte. Die bekommt man günstig und lecker im Mercado Central, einem dreistöckigen Gebäude mit viel handgefertigten Holz- und Wollprodukten und Restaurants im obersten Stock. Dort haben wir mit Ausblick einen berg mit LachsSalat und ein pastel de choclo (Maisauflauf mit Hack, Ei, Hühnchen, Rosinen und Zimt) versucht vollständig aufzuessen. Was für Portionen. Und günstig: nur 4200 Pesos (rund 6€) für das Lachsgericht.

Zuvor haben wir uns am Fisch- und Gemüsemarkt direkt am Hafen schon Appetit geholt. Lecker, lecker.

Das Zentrum ist ziemlich schnell abgelaufen. Hip und trendy ist wohl gerade das Viertel rund um die Isla Teja, wo sich Bar an Bar reiht. Valdivia ist aber äußerst schön gelegen und hat ringsherum viel Grün.

Den Besuch zur Kunstmann-Brauerei haben wir zeitlich leider nicht mehr gepackt; scheint sich wohl aber zu lohnen. Es gibt Kostproben, Erklärungen rund um den Brauprozess und zur Entstehung durch Herrn Kunstmann. Der Eintritt ist nicht ganz billig (zw. 6000-7000 Pesos, wenn die Angaben noch stimmen) und man kommt entweder mit Bus oder Taxi dort hin.

Nachdem wir uns etwas platt vom Fußmarsch morgens und nachmittags nochmal hingelegt hatten, hat uns Sergio wie versprochen und pünktlich (so gar nicht spanisch, die Chilenen; IMMER pünktlich) abgeholt und hat uns zwei Sachen zur Auswahl gestellt: Strand oder Wald. Oder anders: Menschen oder Einsamkeit. Wir haben uns für die ruhige Variante entschieden und sind wieder über die Brücke zum Arboretum, der wohl auch Teil seiner Uni ist.

Insgeheim haben wir uns gewünscht, das Nationaltierchen – den pudú – zu sehen, aber der kleinste Hirsch der Welt hat sich einfach nicht blicken lassen. Dafür hatten wir wieder tolle, mehrsprachige Gespräche mit Sergio, die sich lohnen noch einmal in einen ganzen Einzelartikel zu packen.

Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, was euer liebstes Wort ist? Für Sergio sind es (Glaube) und afecto (Zuneigung); wir finden Habseligkeiten, Fernweh, Reiselust, Heimat und Gemütlichkeit sind schöne, deutsche Worte.

Nach viel Wandern hat uns Sergio mit einer Wahnsinnsaussicht über die Seen rund um Valdivia belohnt. Auch ein paar Reiter haben diese Aussicht mit uns genossen.

Wieder zurück in der Zivilisation haben wir lange nach einem passenden Ort für etwas zu essen gesucht und wurden später in einer Bar mit lauter 80er Mucke fündig. Irgendwie haben uns die zwei Tage echt gerockt, denn viel Feierausdauer scheinen wir alle nicht mehr gehabt zu haben. Müde und sehr dankbar über unseren spontanen Reiseleiter haben wir „Auf Wiedersehen“ gesagt und hoffen, Sergio einmal in Berlin die Ehre zu erweisen, ihm unsere Stadt zu zeigen.

Sergio: Wenn wir dich eines Tages im Buchladen als neuen Pablo Neruda Chiles entdecken, kaufen wir dein Buch, posieren damit und schicken dir ein Exemplar! Danke für alles!
Hier noch eine kleine Zusammenfassung von Valdivia: