Dieser schöne Juwel in Boliviens südlicher Mitte hat uns über Tage gefesselt. Und das, obwohl die Stadt im eigentlichen Sinne nicht viel zu bieten hat außer sich selbst. Alle anderen Attraktionen, wie etwa zum Amboro-Dschungel, sind zig Busstunden entfernt. Warum also lieben wir Sucre so sehr?
Alles begann mit unserem Ritt im lokalen Nachtbus von Uyuni (frisch zurückgekehrt von der fantastischen Salar de Uyuni-Tour) nach Sucre, der uns nach vielen Serpentinen und Abgründen später um 5 Uhr morgens am Bahnhof ausspuckte. Die Stadt lag noch im Schlafen und das nächstbeste „taxi seguro“ (in Bolivien aufpassen beim berüchtigten Taxi-Kidnapping: immer schön auf das Radio Funktaxi achten, das eine Kugel mit Telefonnummer auf dem Dach haben sollte) brachte uns direkt zum „Kultur Berlin“, das unser Stückchen Heimat werden sollte.
Der freundliche lange Lulatsch, der natürlich Deutsch sprach, machte uns glücklicherweise die Tür auf, bot uns ein paar Sofas zum Ausruhen an bis unsere Zimmer fertig waren und empfahl uns das sagenhafte, wenn nicht sogar das BESTE, Frühstück des Landes. Hungrig von der langen Reise haben wir uns um Punkt 7:30 Uhr auf das Frühstücksbuffet gestürzt, das ungelogen aus 8 verschiedenen frischen Obstsorten, zwei frisch gespressten Säften, Kaffee, Tee, Pancakes, verschiedenen Brötchensorten, Salat und Marmeladen sowie diversen Müslis mit Joghurt bestand. Täglich variiert eine Komponente, z.B. Waffeln oder Kuchen anstatt der Pfannkuchen. Ein absolutes Gedicht also, das wir so lange es ging (bis 10 Uhr) ausgekostet haben.
Das Hostel selbst ist ein wahres Schmuckstück; ein altes Kolonialgebäude mit Innenhof, großem Garten, eigenem Restaurant und demnächst sogar mit einem Club. Das Essen im Restaurant kann sich ebenfalls sehen lassen: Wir haben oft bestellt, darunter auch den super leckeren Quinoa-Burger mit Salat und ordentlichen Pommes. Wie in ganz Bolivien üblich kann man sich sämtliche Säfte für wenig Geld mixen lassen.
Unsere Übernachtung im Doppelzimmer hätte privater nicht sein können, waren wir doch in einer Art Gartenhäuschen untergebracht. Ganz für uns. Mit eigenem Bad, Schreibtisch, Stuhl, schmückender Deko – wie in einem schicken Hotel oder in einer Privatwohnung. Das Hostel ist ein echter Allrounder, denn sie bieten neben Spanischkursen auch Walking Tours und Bus-, Wäsche- und Partyservices an. So hat Maike ihrem Björn zu seinem 30. Geburtstag heimlich eine Sahnebombe organisieren können. 🙂
Björns 30. Geburtstag
Oja, die Nachtfahrt hatten wir einzig und allein auf uns genommen, um dem staubig-tristen Uyuni zu entkommen und Björn eine ordentliche Feier zu liefern. Wir hätten es nicht besser treffen können! Die Torte kam rechtzeitig auf den Tisch, an unserem Ankunftstag haben wir uns gleich fürs mexikanische All-You-Can-Eat Buffet angemeldet und den Abend über für 25 BOL „2for1 Caipi’s“ geschlürft. Die Torte kam stilecht mit Kerzen und der lange Tisch war voll besetzt mit unseren zwei Hamburger Mädels (bei der Grenzüberfahrt Argentinien-Chile kennengelernt), unseren vier Chaos-Briten aus Salta (Nordargentinien) und unserer durchgeknallten Dänin (ebenfalls aus Salta). Just an DEM Tag haben wir alle zufällig wiedergetroffen und auf ein Stück Geburtstagskuchen eingeladen. Ihr merkt also, Sucre hat am ersten Tag bereits alles richtig gemacht: Tolles Wetter, tolle Leute, tolle Unterkunft, toller Geburtstag!
Ein Spaziergang durch Sucre
Da wir am gleichen frühen Ankunftstag – wir springen zeitlich etwas hin und her – noch auf unsere gesäuberten Zimmer warten mussten, hatten wir nach dem formidablen Frühstück immer noch massig Zeit, die es galt sinnvoll zu vertreiben. Also haben wir uns für 10 BOL, die einer lokalen Hilfsorganisation zu Gute kamen, für eine einstündige Walkingtour angemeldet. Ja, jetzt kommt der Geschichtspart zu Bolivien und seiner WAHREN Hauptstadt Sucre. Fälschlicherweise wird ja immer angenommen, die Hauptstadt-Superlative hieße La Paz (weil: mit 3.600m die höchstgelegene Hauptstadt der Welt), aber denkste! La Paz hat nach einem Clinch mit Sucre zwar heute den Regierungssitz mitsamt Exekutive inne, aber in Sucre werden die Gesetze des Landes gemacht. Und das Konstitutionelle wiegt hier mehr. Sucre wurde 1839 nach dem Revolutionär Antonio José de Sucre benannt und ist die Seele des Landes, denn hierher pilgern die Bolivianer, wenn sie ihre Landes- und Unabhängigkeitsgeschichte kennenlernen wollen.
Wir haben uns die Historie bei einer Führung durch das Casa de la Libertad nähergebracht. Im Jahre 1825 konnte sich Bolivien als unabhängiges Land von Spanien lösen und Hauptstadt war fortan Sucre (später musste sie La Paz aufgrund der schlechten Anbindung zum Rest des Landes und der wirtschaftlichen Misere den Vortritt lassen).
Bevor wir euch noch ein bisschen Bolivien-Input geben, noch kurz ein paar Facts zu Sucre. Vielleicht ahnt ihr dann, warum wir dieses Fleckchen Erde so sehr mögen.
– Sucres Altstadt mit ihren weißen Gebäuden gilt als eines der am besten erhaltenen Beispiele einer Kolonialstadt in Südamerika
– ist im typischen Schachbrettmuster angelegt
– der beste Ausblick der Stadt ist for free vom Polizeigebäude zu haben (einfach zur Plaza gehen; die netten Herren in Grün fragen und hoch geht’s)
– seit 1991 ist die Altstadt als Ensemble ein UNESCO-Weltkulturerbe
– in der Casa de la Libertad wurde die Unabhängigskeitserklärung unterzeichnet
– Für Dino-Fans: im Kalkabbaugebiet in der Nähe sieht man die besterhaltenen Dinosaurierspuren der Welt
– Für Friedhof-Fans: Sucre hat einen der wohl Schönsten! Achtung: Machen eine Siesta und dann wieder Punkt 14:00 Uhr auf. Eintritt gratis.
– Für Marktfans: Sucre hat einen tollen, aufregenden Markt mit absolut Allem, was das Lebensmittel-Shoppingherz begehrt: Wir empfehlen die frisch gepressten Säfte! Und eine Kostprobe der südamerikanischen Früchte Chirimoya und Pakay (sieht aus wie eine Riesenschote) lohnen sich!
Bolivien verstehen für „DUMMIES“
– Bolivien besitzt zwei offizielle Flaggen
Die typische Flagge besteht aus drei waagerechten Streifen in Rot, Gelb und Grün. Rot steht für die Tierwelt, Gelb für den Mineralreichtum und Grün für die Vegetation und die Landwirtschaft. Rot symbolisiert aber auch den Mut und die Tapferkeit der bolivianischen Soldaten (rot wie das vergossene Blut).
Die zweite Flagge, Wiphala genannt, verwenden vor allem die Aymara als Symbol des Inka-Teilreiches Qullasuyu. Im Laufe der Zeit hat sie sich als Flagge für die gesamte indigene Bevölkerung durchgesetzt und ist der Rot-Gelb-Grünen Flagge gleichgestellt.
– Bolivar ist der große Befreier und Landes-Namensgeber:
Wie so ziemlich alle südamerikanischen Länder probten auch die Bolivianer um 1809 den Aufstand gegen die spanische Kolonialmacht. Damals gehörten sie natürlich noch zum Gebiet Rio de la Plata. Am 6. August 1825 war es nach vielen Erfolgen und Niederlagen soweit: Sucre schrieb die erste Verfassung des Landes (und gab der Stadt gleich seinen Namen – bzw. die Bewohner ihm zu Ehren) und Simon Bolivar, der so ziemlich alles befreite, was es gab, wurde Namenspatron, lehnte aber die Präsidentschaft ab (natürlich, um weiter befreien zu können) und überließ Sucre das Amt (der mal eben noch fix Ecuador befreite). Es folgten zwar weitere Gebietskriege, mehrheitlich seitens Peru, Argentinien und Chile, aber das Land hatte mehr oder weniger Bestand.
– Tiefer, inniger Hass zu Chile:
Obwohl der Salpeterkrieg (1879-1884), in dem Peru und Bolivien gemeinsam gegen Chile kämpften und verloren, schon über 100 Jahre zurückliegt, sitzt das Trauma um den verlorenen Pazifikanteil (was jetzt Antofagasta in Chile ist) noch tief. Schon auf der Salar de Uyuni-Tour haben wir gemerkt, dass Alberto nicht gut auf das Nachbarland zu sprechen ist. Chile würde Boliviens Schätze ausbeuten; so würde in Bolivien das wertvolle Lithium abgebaut, aber über Chile vertrieben. Das bolivianische Wasser wäre teilweise in chilenischer Hand und dort in die Haushalte gespeist, die Bolivianer aber müssten teuer für ihr eigenes Wasser bezahlen… Man merkt, da ist einiges im Argen. Erst vor einigen Tagen haben wir Boliviens indigenen Präsident Evo Morales im Fernsehen gegen Chile sticheln sehen, weil – so auch im Einklang mit Aussagen der Vereinten Nationen – Chile das Nachbarland ausbeuten und dessen Fortschritt absichtlich behindern würde. [Im Übrigen sieht’s mit Paraguay nicht besser aus.]
– Diktaturen und innenpolitische Krisen
Jeden Putsch, jede Revolte und jeden toten und gestürzten Präsidenten aufzuzählen, würde diesen Beitrag sprengen, aber kurz gefasst: Arm gegen Reich. Ausbeutung der Schätze versus Verstaatlichung. Kein System passte: Liberalisierung und Kapitalismus versus Sozialreformen. Dazwischen bekamen dann 1953 auch endlich die indigene Bevölkerung das Wahlrecht, Bürgerrechte und waren nicht länger Leibeigene (und das ist gar nicht so lange her! Muss man sich mal überlegen?!).
Auch interessant: Natürlich rebellierten die jahrelang unterdrückten Quechua, Aymara & Co. Und formierten sich im Hochland zu einer kommunistischen Guerillatruppe, die durch Che Guevara unterstützt wurde. Er hatte wohl aber ihre Sorgen unterschätzt und konnte die Bauern nicht richtig auf seine Seite ziehen, was in Spannungen resultierte. Die Kubaner zogen sich zurück, wurden aber von den Bolivianern eingekesselt. Guevara wurde 1967 vom Militär festgenommen (dabei hatte auch die CIA ihre Finger im Spiel) und ohne Verhandlung erschossen (seine Überreste hat man 30km weiter auf einem Flugplatz in der Region Santa Cruz verscharrt; diese wurden erst 1997 wiederentdeckt und nach Kuba überführt).
Uiuiui, danach wieder Putsche, u.a. von den „Kokain-Baronen“, viel Instabilität. Dann in den 80ern erste Aufwärtstrends, wenn auch unter harten Bedingungen. Das Land wurde zahlungsunfähig (schlappe 4 Mia. USD!!!), musste Lebensmittelpreise drastisch erhöhen, die eigene Währung um 300% abwerten.
– West und Ost sind sich nicht „grün“
Noch in den 2000ern merkt man die Spannungen zwischen Arm (Indigene in La Paz und Umgebung) und Reich (Osten um Santa Cruz). Der Osten will die Autonomie (klar, wenn ich schön viel Gas hätte, würde ich das auch wollen) und alles fein privatisieren. Natürlich hat die indigene Bevölkerung kein Lust, die Grundbedürfnisse teuer zu bezahlen… mal wieder viele Rücktritte und 2005 ein echter Überraschungshit, nämlich Evo Morales als ersten indigenen Präsidenten. Schaut euch den mal bei der Google Bildersuche an; ein Haarschnitt aus dem letzten Jahrhundert, aber immensen Rückhalt in der westlichen Region Boliviens. Er kämpft seitdem viel für die Ärmsten der Armen (ist ja auch ein Sozialist), hat viel für die Cocabauern getan.
Fun Facts zu Evo:
- Im Oktober 2009 wurde Morales von der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum „World Hero of Mother Earth“ ernannt.
- Er besuchte die Schule nur bis zur 6. Klasse.
- Die Familie war so arm, dass 4 seiner Brüder starben (bei Fieber gab’s nur Zucker und Coca zur Linderung) und es oft nur Maissuppe zu essen gab.
- Anlässlich seiner Einführung als Präsident trug er als Zeichen seiner indigenen Wurzeln immer einen traditionellen Pullover (Chompa) plus eine traditionelle Lederjacke (Chamarra).
Nützliches:
– Übernachtung im „Kultur Berlin“ in der Avaroa 326 nahe der Hauptplaza