Seattle eilt sein Ruf als coole, interessante Stadt voraus, schließlich haben hier die erste Starbucks-Filiale, Kurt Cobain und Jimi Hendrix das Licht der Welt erblickt. Außerdem ist die Stadt neben ihrem Wahrzeichen, der Space Needle, Drehort für zahlreiche Filme, wie – logooo – „Schlaflos in Seattle“ mit olle Meg und Tom oder „Fifty Shades of Grey“ (obwohl fast alles davon in Vancouver gedreht wurde) und natüüüürlich die Serie Grey’s Anatomy, wo man circa alle 5 Minuten ein nächtliches Panorama der Stadt und die Fährüberfahrten als Einspieler präsentiert bekommt. Wir waren also voller Vorfreude auf den Kaffee-Rock-Himmel!  

Von Portland aus sind es nur entspannte vier Stunden mit dem Greyhound und schwupps, schon ist man in der „Smaragd“-Stadt – the Emerald City („grün“ wegen der vielen Wälder in der Gegend). Erstmal, na klar, einen Kaffee holen… Wer einmal Google Maps in der Innenstadt öffnet, wird von der Dichte an Starbucks-Filialen überwältigt sein.

Nach der Koffeinladung haben wir uns mit unseren Backpacks in den Bus in Richtung unseres Couchsurfing-Hosts Howard aufgemacht, der uns eine Stunde später die Tür zu seinem geräumigen, schön eingerichteten Apartment in Capitol Hill geöffnet hat. Howard sollte uns dann ganze vier Tage beherbergen und uns mit seiner Mitbewohnerin Carolyn am gleichen Abend noch zum Fremont Troll fahren, einer übergroßen 5,5m Trollstatue unter einer Brücke (die Story dazu ist ganz witzig – hier zum Nachlesen.

Danach sind wir tatsächlich in einen Wholefoods gefahren, weil dort von der jüdischen Gemeinschaft eine Art Futtermarathon IM Supermarkt organisiert wurde. Howard und Carolyn sind nämlich beide jüdisch und besonders Howard lebt seine Religion im täglichen Leben aus (koscheres Essen, koscherer Haushalt). Mit ein paar gesunden Kleinigkeiten (fragt nicht nach der Summe! Es ist schließlich Wholefoods – ein kompletter Biosupermarkt!) im Gepäck sind wir dann zurück ins Apartment und Howard hat uns einen leckeren Räucherlachs-Spargel-Salat aufgetischt und Brom- und Himbeeren als Dessert dazu. Wirklich lecker! Ziemlich groggi sind wir dann auf die Matratze und Isomatte gehüpft und wohlig eingeschlafen.

PIKE PLACE MARKET & WATERFRONT

Der nächste Morgen begann früh, denn wir wollten vor der geplanten Free Tour am Pike Place Market noch fix was Leckeres frühstücken. Natürlich wurde es alles viel zu spät und so haben wir direkt vorm Markt richtig guten, cremigen Joghurt gefrühstückt und Kleinigkeiten gesnackt… Um dann zu erfahren, dass die Free Tour ohne Anmeldung nicht läuft und schon auf Tage hinweg ausgebucht ist. Welch Glück für uns! So konnten wir uns den Köstlichkeiten und Kunstwerken des Marktes so richtig hingeben!

Hier eine Kostprobe, da ein Obststück, dort ein Dip in Olivenöl! Die Blumenstände waren echte Prachtexemplare und ziemlich günstig für die Anzahl an Blumen. Die eine Dame, die auf dem Foto so freundlich mit ihrem Bild in die Kamera lächelt, reißt übrigens bunte Seiten für Seattle-Panoramen, Blumenwiesen und Landschaften aus verschiedenen Zeitschriften heraus und klebt sie in Kleinstarbeit zu einem neuen Bild zusammen.

So richtig berühmt ist der Markt aber für seinen Fischmarkt, besonders der Stand „Pike Place Fisch Company“, den Björn nur zu gut aus dem Buch „Das Fish!-Prinzip“ kennt. Hier kurz etwas zur Story und der daraus resultierenden Idee: Ein Dokumentarfilmer und Business-School-Professor filmte mit seinem Kollegen mehr zufällig die Verkäufer auf dem Pike Place Fish Market, die außergewöhnlich motiviert und voller Spaß bei der Arbeit waren, indem sie sich z.B. gegenseitig Fische zuwerfen, mit den Kunden ihre Späßchen machen und besonders guten Kundenservice anboten. Der Professor hat daraufhin das Verkäufer-Verhalten analysiert und vier Prinzipien herausgearbeitet.

1) Play – An jedem Arbeitsplatz ist es möglich eine Vielzahl von Spielarten umzusetzen. Sie lockern die Atmosphäre auf und Ergebnisse werden leichter erzielt.
2) Make their Day – Anderen etwas Gutes tun und ihnen Freude bereiten, verbessert die Arbeitsatmosphäre.
3) Be present – Immer mit den Gedanken da sein. Eine wichtige Voraussetzung bei jeder Tätigkeit, um erfolgreich zu sein.
4) Choose your Attitude – Das soll nicht heißen, dass die eigene Stimmung immer positiv sein muss. Frei gewählt hingegen sollte sie immer sein, ansonsten gerät man leicht in einen Strudel negativen Denkens.
[Quelle: Be Different Business Entertainment – The Fish! Philosophy – Motivation mal ganz anders. – 12.05.2011, Fish! Philosophy]

Björn hat das Buch wohl damals mächtig beeindruckt, deshalb hat er hier auch sein Foto vom Original-Schauplatz bekommen (Beweis in der Fotogalerie) – und ja, sie haben den Fisch wirklich geschmissen, aber die Verkäufer haben das auch nur als Showeinlage gemacht und waren abseits des Fischschmeißens doch eher grummelig. Wirklich sollten die ihr Erfolgsbuch selbst nochmal lesen? Hier gibt’s den YouTube-Einspieler, damit ihr euch selbst einen Eindruck verschaffen könnt: Youtube

Der Markt an sich kann einen den ganzen Tag beschäftigt halten, so viele Stände und Etagen hat er zu bieten. Weiter im „Inneren“ gibt es allerlei Kuriositäten, wie etwa einen Zauberladen mit Wahrsager-Sultan (der uns eher abgezogen hat, weil wir trotz verschiedener Sternzeichen beide die gleiche Schicksalskarte erhalten haben, haha) oder das „Riesige Schuhe“-Museum… alles Unnütze eben. Plus einen extremst lecker anmutenden Süßigkeitenladen mit extremsten Preisen und die älteste Brauerei der Stadt, die Pike Brewery, die doch um 14 Uhr tatsächlich eine gratis Tour anbot. Na, da waren wir aber sowas von dabei! Nur noch vorher den ersten Starbucksladen auschecken, der gleich um die Ecke war.

Kaffee & Bier: Der erste Starbucks der Welt und Craft Beer in der Pike Brewery

Noch ganz klassisch mit altem, barbusigen Meerjungfrauen-Logo und natürlich eine riesigen Schlange vor dem Laden. Was könnten wir euch also besseres abliefern als ein paar Fun Facts zur wohl berühmtesten Kaffeekette der Welt?

Los geht’s:
– gegründet 30. März 1971 in Seattle
– ein Umsatz von 14,89 Mrd. USD (Stand 2013)
– beschäftigt 191.000 Mitarbeiter weltweit (Stand 2014)
– der Name des Kaffee-, Tee- und Gewürzgeschäft „Starbucks Coffee, Tea and Spice“ ist an den Steuermann Starbuck aus dem Roman Moby Dick angelehnt
– weitere Tochterunternehmen: Teavana, Tazo, Hear Music
– die ersten deutschen Filialen wurden 2002 in Berlin eröffnet; bis heute sind alle – bis auf Hamburg HBFKEINE Franchiseunternehmen
– neuester Clou: Starbucks zieht in Rewe-Märkte – (übrigens in Nordamerika schon längst Gegenwart: fast jeder Safeway-Supermarkt hat einen Starbucks!)

Eigentlich versuchen wir ja immer, Ketten zu vermeiden und die „Kleinen“ zu unterstützen. In diesem Fall haben wir aber eine Ausnahme gemacht und uns einen stinknormalen Kaffee geteilt… das Warten, um in den Laden zu kommen, soll sich ja schließlich lohnen… Sogar unsere Namen haben sie richtig geschrieben. Ehrlich faszinierend, denn selbst beim Buchstabieren kriegen’s die meisten nicht hin…

Nach dem Kaffee also weiter zum Bier. Erstmal an die Bar und ein Pint bestellen. Die ganze Story hinter der Pike Brewery bekommen wir nicht mehr zusammen, ebenso wenig die Inhalte zur Tour, die von einer sehr energischen, coolen Butch gegeben wurden. Sorry, einfach zu chemielastig. Aber die Inhaltsstoffe sind easy: Hopfen, Malz (meist Gerste), Wasser, Hefe. Wer’s ganz genau wissen will, hier gibt’s eine gute Quelle

Ein bisschen Kunstgenuss im „SAM“

Leicht angeschickert sind wir dann weiter, um den Tag noch weiter auszukosten. Denn an jedem ersten Donnerstag im Monat sind viele der Museen in Seattle kostenlos und außerdem länger geöffnet. Unsere Chance also gratis ins Seattle Art Museum zu huschen, wo uns im Foyer gleich eine beleuchtete Autoinstallation an der Decke erwartete. Schwerpunkt war die Native American Art Scene und moderne Kunst aus Kanada und Europa.

Uns hat eine Videovorführung des Holländers Guido van der Werve besonders gut gefallen, wo er in verschiedenen Sequenzen, u.a. unter Einsatz diverser Orchester seiner Leidenschaft für Triathlon nachgegangen ist, indem er beginnend in Warschau, quer durch Deutschland und Belgien bis nach Paris schwimmt, Fahrrad fährt und läuft. Dabei hat er seine beiden Lieblinge Chopin (das Orchester) und Alexander den Großen thematisch eingebunden. Ende seiner Tour war der Pariser Friedhof Père Lachaise [da waren wir auch schon und haben Oscar Wilde’s Grab gesucht], wo Chopin begraben liegt (nicht jedoch sein Herz; das hat Schwesterchen zurück nach Warschau geholt, genauer gesagt in die Heilig-Kreuz-Kirche). Ansonsten ist das SAM (Seattle Art Museum) recht übersichtlich auf zwei Etagen verteilt, was uns zeitlich ganz gut passte. Nicht zu viel, nicht zu wenig.

Underground Tour, Pioneer Square und Occidental Square

Puh, danach wurde es schon dunkel und wir langsam hungrig. Also zack auf dem Weg zu Howard noch ein Stück Pizza verschlungen und ein mehr schlechtes als gutes Pommes-Burger-Vergnügen gehabt. Bei Howard haben wir uns dann noch eine ganze Weile unterhalten und sind dann wieder hundemüde ins Bett.

Tag 2 in Seattle haben dann ruhiger angehen lassen. Gleich in der Nähe von Howards Bleibe haben wir „Joe Bar“ entdeckt (810 E Roy Street). Ein leckeres Frühstück, Kaffee und eine heiße Schokolade später haben wir uns gestärkt wieder in die Stadt aufgemacht und sind Caroyln’s Empfehlung nachgekommen, unbedingt die „Seattle Underground Tour“ zu machen.

Kurz vor 14 Uhr und 15 Dollar pro Nase weniger befanden wir uns mit unserem Guide von der Beneath The Streets-Tour (Anbieter 1 hier, Anbieter 2 hier) in irgendeinem Keller, wo man sich mit viiiiel Fantasie vorstellen musste, dass da mal irgendwann irgendwas war. Vorbei am Pioneer Square, dem ersten geschützten Viertel der USA, und dem geklauten und ersetzten Totem-Pfahl. Die Story zu den Underground Touren ist eigentlich schnell erklärt: Im Jahr 1852 fackelte Seattle komplett ab; also haben sie die Stadt einfach eine Etage höher gebaut. Nun kann man heute noch in die Original-Etage, die jetzt hauptsächlich aus stinkenden Kellern besteht und sich vorstellen, dass Leute da mal gewohnt haben.

Der Schauspieler, der unser Guide war, hat’s zwar ganz nett gemacht, aber wo nix ist, kann man eben auch nix rausholen. Wir sind doch tatsächlich in eine Bar gegangen, die früher mal ein Saloon war und sollten uns umrundet am Billiardtisch im Hinterzimmer vorstellen, dass das mal der Pferdestall war. Naja, irgendwie ist man als geschichtsträchtiger Europäer eben doch verwöhnt und schmunzelt nur beim Gedanken daran, dass die berühmten „heritage buildings“ – also Häuser unter Denkmalschutz, weil histooorisch! – schnuckelige 100-150 Jahre alt sind. Pff… nee, irgendwie war’s nicht der Bringer.

Aber die Gegend um den Pioneer & Occidental Square ist ganz nett. Also einen Kaffee und ein bisschen Schlenderei später doch noch zu etwas Spannenderem: dem Seattle Center. Mit dem hatten wir noch echt Glück, denn am Tag darauf hat es für das Lollapalooza in Seattle komplett dicht gemacht. So konnten wir den Leuten noch beim Aufbau über die Schulter schauen.

DAS SEATTLE CENTER & SEINE SPACE NEEDLE

Eigentlich nur eine Ansammlung von Kunst und Unterhaltung angesiedelt in einem Park, der im Zuge der Weltausstellung 1962 erbaut wurde, ist das Seattle Center heute ein Anzugspunkt für Touristen aus aller Welt. Dabei ist die Space Needle nur schlappe 184m hoch (zum Vergleich der Berliner Fernsehturm mit 368m) und kostet einfach irre viel Geld – 25 USD (!!!).

Der Renner ist wohl der Chihuly Garden of Glass, der auch einzelne Elemente outdoor präsentiert. Das Pacific Science Center ist ein Epizentrum für Kinospaß, wie etwa das Boeing IMAX Theater (kleines PS an dieser Stelle – Boeing kommt aus Seattle!), das PACCAR IMAX Theater und der Seattle Laser Dome. Als wir da waren, stand eine große Menschentraube davor (wir wissen bis heute nicht warum) und eine chinesische Mädchengruppe hat per Gongschlag irgendwas Traditionelles performed.

Ihr merkt also, da ist I.M.M.E.R. was los. Und gerade weil da immer was los ist, treffen wir genau in diesem Moment, zwischen Klangspielparadies und EMP Museum (ja, genau, wie der Rock/Gothic/Heavy Metal-Musik-Merchandise-Katalog) Björns alte Arbeitskollegin Anne und ihren Freund Bernhard! Gemeinsam sind wir dann noch zum Outdoor-Ausstatter REI (der „Globetrotter“ Seattles; der hier auch seinen Hauptsitz hat) und haben ein Zelt geshopped, denn unserem „Johnny Müller“ aus dem chilenischen Baumarkt haben wir eine zukünftige Tour durch Kanada und Alaska dann doch nicht zugetraut. Aber „Johnny Müller“ hat am Tag darauf gleich ein neues, sinnvolles Zuhause gefunden… als Sachspende für das Obdachlosenheim bzw. Einkaufszentrum für Benachteiligte. Wieder ging ein laaanger Tag zu Ende und wir haben uns beim – herrje, wie sagt man das – Himalayaner (?!) noch leckeres Essen zum Mitnehmen geholt. Woooah, der ganze Tag übervoll an Eindrücken. Und in wenigen Tagen sollte es schon den finalen Stempel im Pass geben: Kanada! Alles so aufregend!

Dementsprechend war Tag 3 dann einfach nur noch Verschnaufpause, Blog- und Orgatag. Wie wir mit dem ganzen Schreiben, Fotos sortieren und bearbeiten je hinterherkommen sollten, war uns eh noch ein Rätsel! Also den ersten Kaffee in einem der zahlreichen Cafés in Capitol Hill ziemlich spät genossen, dann ein Lunchmenü beim Vietnamesen geteilt, in den Volunteer Park geschlendert und den Eichhörnchen beim Vorräte sammeln zugeschaut und auf einer Bank „Der kleine Prinz“ gelesen bis… der Regenschauer kam!

Die ganze Zeit haben wir schon auf DAS Phänomen der Stadt gewartet: Reeeegen! Wer Grey’s Anatomy-Serienjunkie ist, weiß: Es regnet einfach immer in Seattle! Von den Bewohnern auch „Rain City“ genannt, hielt dieser Regen einfach unseren Erwartungen stand: dicke, satte Tropfen, die uns hilflos Schutz unter einer Veranda suchen ließ. Die zweiminütige Regenpause haben wir rennend zu „Joe Bar“ verbracht, wo wir uns mit Bitburger (ohne Witz), Seattle Cider und Spinat-Gorgonzola-Crepe aufgewärmt haben. Ja, jetzt hatten wir offiziell das gesamte Seattle-Repertoire gesehen! Danke, Seattle! Immer wieder!