Unsere Liebe zu Portland begann ganz harmlos bei ein paar extravaganten Doughnuts und gutem Kaffee. Der Laden mit den süßen Kalorienexplosionen hieß Voodoo Dougnuts, ist seit Jahren schon DIE Anlaufstelle für Hipster, Touris, Partygänger und das gemeine Fußvolk, wenn’s um bezahlbare Doughnuts in allen Formen, Farben und Geschmacksrichtungen geht.
Wir haben uns an die Sorten Blueberry, Double Chocolate, Tangfastic (das gelbe Ding mit den Marshmallows – siehe Bild) und Portland Cream herangetraut. Letzteres war unser Highlight, da innen nochmal mit Vanillecreme gefüllt. Gratis oben drauf gab’s noch den Renner im Laden: Maple Bacon. Ja, richtig gelesen: Ahornsirup-Geschmack garniert mit gebratenem Bacon-Speck. Das war selbst für uns zu viel.
Die Legende des Ladens besagt, dass sie in ihren Anfängen sogar den passenden „Der Morgen danach“- Antikater-Doughnut mit zerbröselten Aspirintabletten verkauft haben. Das fand das Gesundheitsamt gar nicht so witzig und hat den Laden kurzweilig dicht gemacht. Wer sich dem Touristenhype hingeben möchte, denn zugegeben: sie schmecken einfach nur lecker, der sollte sich in die Schlange der Wartenden gesellen. Wen interessiert, was der Laden für eine Philosophie hat und wem das Konzept so gar nicht in den Kragen passt, der findet hier eine kleine Linkliste: Wikipedia, Time Magazine und die ganze Story (Achtung, Wortwitz: „The Hole Story“) in der Willamette Week.
Ordentlich zugezuckert, haben wir uns also weiter aufgemacht, die Stadt zu unserer Stadt zu machen. Was leicht ist, denn sie ist praktisch Berlin in Miniausgabe, nur mit viel mehr FOOD CARTS! Am Pioneer Courthouse Square angelangt – wo die Touriinfo ist – ist uns ein Typ mit grünem Shirt und großer Menschenmasse um sich herum aufgefallen. Hey, eine Free Tour! Welch ein Glück! Um kurz vor 11 Uhr folgten wir also Erik, einer „One Man“-Show aus Texas, der seine Kindheit aber in Oregon verbracht hat und wie so viele andere Leute auch feststellen musste: Portland ist super, nur gibt’s einfach keine Jobs! Also kreiere dir selbst einen, eröffne einen Foodtruck oder was auch immer, und leg dein Glück in die eigene Hand!
So ging die Tour also mit etwas Herzschmerz los, denn laut Erik sei der Pioneer Square das Wohnzimmer der Stadt. Hier fänden so viele Events statt, dass der Platz eigentlich nie leer ist. Just an unserem Besuchstag war Italien-Fest und lauter Stände aufgebaut. Das Herz Portlands ist auch ganz gut im Weltrekorde brechen, so versammelten sich etwa hunderte Menschen in Pyjama bekleidet, um nächtlich Waffeln zu essen (Warum auch immer – Amis eben), an Halloween gibt’s den Zombitanz (4 Stunden lang wird zu Thriller getanzt – Kostüm ist ein Muss!) und immer freitags gibt’s in den Sommermonaten gratis Filmnächte, genannt „Flicks on the bricks“ (gesponsert von IKEA, die dem Gesäß ein paar Kissen und dem Ambiente ein paar Farben und Deko verleihen).
Der Platz war übrigens nicht immer gratis betretbar. Tatsächlich haben die Bürger der Stadt für jeden einzelnen Stein des Platzes bezahlt (daher ist jeder Stein in alphabetischer Reihenfolge mit Namen graviert).
Wie Portland zu seinem Namen kam, ist auch ganz witzig. OK, zugegeben, das ist jetzt nicht eine extrem fundiert Wiedergabe… Zwei Typen, die beschlossen, in einem Waldstück das spätere Portland zu gründen, kamen aus zwei unterschiedlichen Regionen und das Los hat entschieden, ob die neue Stadt nun Boston (Massachusetts) oder Portland (Maine) heißen soll. Jetzt wissen wir wohl, wie das endete. Sehr einfallsreich, oder? Bis heute bekannt ist der Versuch der beiden ihre angehende Stadt von Bäumen bzw. Baumstümpfen zu befreien, was zu damaliger Zeit ein ziemlich hartes Unterfangen war. Weil es ihnen mehr schlecht als recht gelang, hieß die Stadt inoffiziell „Stumptown“ – Stumpfstadt. Übrigens heute ein hippes Kaffeehaus-Label mit eigener Rösterei und dem bekannten Cold Brew Coffee für irre viel Geld (siehe Fotos).
Ein weiterer Herr mit großer Bedeutung für die Stadt war Simon Benson, dem die Stadt bis heute die „Benson Bubblers“ zu verdanken hat. Die 52 original gratis 4er-Trinkwasserbrunnen der Stadt (72 Einer-Wasserbrunnen). Die blubbern täglich von 6 – 23 Uhr und das nur, weil Benson seine angestellten Holzfäller 1912 während der Mittagszeit vom Biersaufen im Saloon abhalten wollte. Denn es passierten aufgrund von Trunkenheit am Arbeitsplatz einfach zu viele Unfälle mit der Säge.
Wie auf den Fotos erkennbar, sind wir mit unserer Free-Tour-Meute inzwischen am Art Museum angelangt (stolze 124 Jahre alt – wie süß; das zweitälteste Kunstmuseum der USA – doppelt niedlich) und dem Platz, wo immer samstags der Farmers‘ Market stattfindet: 200 Stände mit ganz vielen gratis Kostproben – am besten früh kommen (8:30 – 10:00 Uhr oder so). Die Besucher sollen ein bunter Mix aus Touris und „Oregonians“ sein – übrigens kommen 66% der Bewohner nicht aus Oregon, sondern sind Zuzügler. Das ist die zweithöchste Rate in den ganzen Vereinigten Staaten.
Nur noch getoppt von Detroit hat Portland die zweithöchste Arbeitslosenquote, was die Leute kreativ werden und die Rate der Selbstständigen in die Höhe schießen lässt.
Einmal durch den Park in Richtung Wasserfront passierten wir das Heathman Hotel, indem es angeblich spukt (mal wieder mag Erik sein Ranking: es sei unter den Top 10 der Spukhotels in den USA – whoaaa!). Die Story ist fade wie einfach: In den 1950ern kommen zwei Typen betrunken auf ihr Hotelzimmer und der eine stürzt den anderen, als der ein Fenster öffnen will, versehentlich hinunter. Doof, dass sie ein Zimmer im obersten Stockwerk gebucht hatten. Seitdem hören die Leute in den oberen Etagen nächtlich immer wieder Schreie und dann einen Schatten, der mit hoher Geschwindigkeit am Fenster vorbeirauscht und das dumpfe Geräusch eines Aufpralls. Für eine andere Sache ist das Hotel auch noch bekannt: Eine Szene aus „Fifty Shades of Grey“ wurde in einem der Hotelzimmer gedreht, was nun natürlich auf Jahre hinweg von Fans ausgebucht ist.
Das wohl absolut Skurrilste an der ganzen Stadt ist jedoch der Fakt, dass die Schutzherrin der Stadt, eine riesige weibliche Statue namens Portlandia, bis zum Ableben des Schmieds urheberrechtlich so geschützt ist, dass der Künstler alles und jeden verklagt, der die Statue auch nur abbildet. Grund zum Schmollen seitens des hammerschwingenden Schmieds war die miese Bezahlung damals, weshalb die Stadt so doof war, sich auf den Deal einzulassen, dass der Schmied bei jeder Verwendung des Stadtmaskottchen den Veröffentlicher verklagt. Selbst Touristen, die ein Bild der Statue auf Instagram oder Facebook veröffentlichen, verklagt der Mann. Vier Jahre hat es gedauert, die Schutzpatronin mit einem 7,5kg schweren Hammer in Form zu hämmern. Man findet die Lady kaum, da sie für alle unsichtbar über dem Portland Building thront, einem der ersten postmodernen Gebäude aus dem Jahr 1982 (welches wir in der Tat fotografieren und veröffentlichen dürfen) – die verschiedenen Farben, Formen und Fenster sprechen für sich. Wer Lust hat mehr über die Portlandia-Statue zu erfahren, dem empfehlen wir hier diese sehr lesenswerte Lektüre der Willamette Week mit dem passenden Titel „Verklag‘ uns doch!“ Sie ist wirklich echt bemerkenswert und nach der Statue of Liberty in New York, die zweitgrößte Kupfer-Skulptur der USA (würde sie stehen, wäre sie 15m hoch).
Unser Spaziergang neigte sich langsam dem Ende entgegen, jedoch nicht ohne mehr tolle Rankings und Listen, wie etwa diese hier: Vier progressive Momente in Portland –
- Portland stellte die erste Polizistin ein (Laura Baldwin war ihr Name und ihre Aufgabe: In Stripclubs gehen und nach dem Rechten sehen. Logisch, warum viele ihrer männlichen Kollegen diesen Job 1908 wollten und der Polizeipräsident vorsorglich eine Frau einstellte),
- Die erste Stadt mit einem Action Plan gegen globale Erwärmung (1992; so cool, Portland hat solarbetriebene, sensorengesteuerte Mülleimer, die den Müllinhalt aufs Dreifache komprimieren und dir per Lämplein sagen, wann sie voll sind / alle Busse tanken mit Biodiesel / 20% aller Bewohner fahren mit Fahrrad zur Arbeit),
- Portland hat den größten öffentlichen Park der Welt (Forest Park mit ca. 5800 ha) und
- den kleinsten öffentlichen Park der Welt (siehe Fotobeweis; angeblich ein Glücksbringer, weshalb sich an dem rundlichen Mini-Erholungspark, der eigentlich für eine Laterne gedacht war, immer mal wieder Paare vermählen lassen… laaange Story dazu… viel irischer Kobold-Schabernack).
Unsere Tour endete, wo unser Tag begann, vorm Voodoo Dougnuts, wo uns Erik noch mehr Insider über den Schuppen verriet. So verkaufen sie wohl 10.000 Stück am Tag, machen zwischen 7-8 Mio USD Umsatz im Jahr und haben über 100 Sorten im Angebot. Die wohl größte Mammutaufgabe seien die „Challenge Dougnuts“, die so riesig sind, dass es beinahe unmöglich ist, sie binnen 90 Sekunden komplett zu verspeisen, ohne sich dabei zu übergeben (Eimer wird bereitgestellt). Wer’s dennoch schafft, hat die 15 Dollar gespart, aber kein langes Essvergnügen gehabt. Der Laden akzeptiert nur cash uuuund man kann für 300 Dollar im Laden heiraten, stilecht mit bunten Streuseln statt Reis und einem Doughnut-Ehering. Letztes Jahr hätten dort wohl zwei Katzen geheiratet. Da passt doch der Spruch: Keep Portland Weird.
Und weil Portland so schick und hip ist, sind wir anschließend ausgehungert in Richtung Foodcart auf der 10th Ave, Ecke 19th Washington gelaufen, um uns (Fast-)Heimatgefühlen hinzugeben: Polnischen Pierogis! Sooo lecker… Der Asiate, wo wir dann unser Tofu-Curry bestellten, meinte es beim Chili dann doch etwas zu gut, worauf wir die Esserei kurze Zeit später aufgeben mussten. Zu sehr brannten uns Mund und Hals.
Womit sich also noch beschäftigen in der Stadt der Understatement-Schönen und Ungewöhnlichen? Richtig, Konsumrausch. Zwei Stunden und eine Jeans (Björn) und ein Hemdkleid und Parka später (Maike) sind wir glücklich, na, wohin wohl, Richtung Mikrobrauereien geschlendert. Vorbei an DER Institution der Stadt: Powell’s City of Books. Und der Titel ist wahrlich keine Untertreibung! Man kann sich in der Stadt der Bücher ernsthaft verlaufen und wir mussten uns einen Treffpunkt und Uhrzeit ausmachen, um einander wieder zu finden.
Völlig übersättigt vom Büchermarkt ging’s dann doch endlich zur erstbesten Brauerei mit fairen Preisen und guter Auswahl. In unserem Falle die Fat Head’s Brewery, wo sich Björn einen „Beer Flight“ bestellte – so nennt man die Fünfer-Probierpalette Bierspezialitäten – und Maike sich ein schmackhaftes Bumbleberry Honey Blueberry Ale mitsamt darin schwimmender Blaubeeren. Auf die Idee hätten wir zu Hause mal kommen müssen! Blaubeere ist die neue Zitrone! Björn hatte in seinem Sortiment auch ziemlich Leckereien am Start, u.a. das Ultra Pils, Maikes Blaubeerbier, den Rocketman Red (ein rotes Ale), den Head Hunter IPA (ein West-Coast Style Indian Pale Ale, worauf die hier völlig abfahren! IPA’s kriegt man überall!) und den Up In Smoke (ein Porter). Leicht besäuselt sind wir danach doch mal zu den Foodtrucks zurück, haben leider schlechte Pommes gegessen (das können wir besser und der Libanese bestimmt auch!) und dann war Tag 1 auch schon vorbei! Aber wir sollten zwei Tage später wiederkommen und die Stadt dank Airbnb-Übernachtung nochmal abends erkunden.
Gesagt, getan. Ab in den Greyhound-Bus und die Weinregion Oregons, Willamette Valley, wo unsere super-duper „Best Ager“-Workaway-Familie wohnt, verlassen und los geht’s! Airbnb-Host Tom hat uns alles ganz dufte erklärt, wie man mit den Öffis zu ihm kommt und ca. 1h später (und wie wir merkten, immer weniger gewillt, unsere Backpacks mehr als genau für diese Dauer zu hieven…) standen wir in einem kleinen Zimmer eines WG-Hauses und dachten uns, wie viel Kohle Tom damit wohl machen muss, denn sein kompletter Kalender war ausgebucht… und wirkliche Arbeit hatte er auch nicht. Aber sämtlicher Komfort war da, Tee und Kaffee, eigenes Bad, viele Broschüren, gutes Wifi.
Also auf in sein Viertel, Southeast, das wohl ebenfalls hip und trendy sei. Erstmal Mittagessen Ecke 50th Division St (super Frühlingsrollen!) in den Magen und dann noch’nen leckeren Kaffee in der Roman Candle Bakery, die so dermaßen Industrial Chic aussieht, dass man kaum glaubt, dass der Laden in jedem lokalen Magazin gehyped wird wie doof, weil die Bäckerei, Sandwich Shop, Café und Pizzeria in einem sind. Dann sind wir weiter durch Southeast geschlendert, immer in Richtung SE Hawthorne Boulevard, wo es nur um sich hipt vor Hipness.
Aber erstmal wieder ein kurzes Päuschen bei einem Bier & Cider in einem von vielen McMenamins Brauereien der Stadt. Wir sind im Bagdad Theater gelandet und haben uns erstmal deluxe Pommes bestellt (zwischen dem Trinken auch mal wieder ans Essen denken) und dann jeder weiter gesüffelt. Leicht angeschickert an den Secondhandläden und coolen Stores vorbei, um wenig später wieder in einer Brauerei zu landen.
Diesmal haben wir uns im Green Dragon mal was Verrücktes bestellt, und zwar eine „Oakshire Sun Made“ Berliner Weisse mit Gurke aus Eugene, einer Stadt im Süden Oregons, und ein „7 Hop IPA“ der Rogue Brauerei. Sagen wir mal so, Björn hatte mit letzterem echt Glück, denn lecker war’s; Maike hingegen kam dem Würgereiz sehr nahe, denn ihr Getränk hatte mit Berliner Weisse wenig zu tun und wurde nur nach Zutun viel, viel Waldmeistersirups etwas genießbarer. Aber den Versuch war’s wert…
Was also tun, wenn man so schön düselig den Nachmittag in den Abend hinein vertrinkt? Richtig, im Kino absacken! Also haben wir uns in den nächsten Bus gesetzt und sind ins nächste Szeneviertel gefahren, nach Northwest! Und da war es dann, das Arthouse Kino des Portlanders: Cinema 21. Und wir haben uns „The Diary of a Teenage Girl“ angeschaut; einem 70er Hippie-Coming of Age-Film eines ziemlich lässigen Teenies (Bel Powley sollte man sich als Schauspielerin unbedingt merken – hammer Performance!), die sich und ihre Sexualität in San Francisco erkundet. Dabei steigt sie dummerweise mit dem Freund der Mama in die Kiste (übrigens gespielt von Maikes Schweden-Liebling Alexander Skarsgård; Film-Mama Kristen Wiig mal in’ner ernsten Rolle – steht ihr gut mal abseits der Comedypfade zu filmen). Ziemlich empfehlenswerter Film und auch ein Berlinale-Liebling gewesen; hier geht’s zum Trailer
Schön platt vom Schlender-Kaffee & Bierchen-Tag sind wir hundemüde ins Bett geplumpst, um morgens ziemlich früh unser Mietauto für einen Tagestrip zur Columbia River Gorge abzuholen. Aber hupps, das füllt einen ganz neuen Blogbeitrag, denn Oregon ist einfach mal wunderbar und wird so stiefmütterlich behandelt, nur weil jeder mal nach Kalifornien will. Traut euch nördlicher!
Der ultimative Grund Portland noch mehr zu lieben, ist die Serie Portlandia. Solltet ihr Netflix zufällig haben und es in Deutschland überhaupt gezeigt wird, schaut euch unbedingt die Serie an, es nimmt die ganze Hippie-Hipster-Vegan-Szene von Portland etwas auf die Schippe. Hier ein kleines Beispiel:
Nützliches:
– Free Walking Tour, immer um 11 Uhr vorm Pioneer Courthouse Square (im Winter & Frühling hat Erik Ruhepause – Okt bis Mai)
– Kalorienreiches Frühstück… ach egal, wann – einfach futtern: Voodoo Doughnuts, 22 SW 3rd Avenue
– Fat Head’s Brewery in der 131 NW 13th Ave, Portland, OR 97209
– Roman Candle Baking für hammer Stumptown Coffee, italienische Köstlichkeiten und leckere Törtchen: 3377 SE Division St, Portland, OR 97202
– Hier lässt es sich auch gut Bier trinken: McMenamins/ Bagdad Theater am 3702 SE Hawthorne Blvd und im Green Dragon, 928 SE 9th Ave
– Für internationalen Kinospaß: Cinema 21 in der 616 NW 21st Ave, Portland, OR 97209