Vor keiner Stadt (neben Bogotá natürlich) wurden wir aus Familienkreisen so ausführlich gewarnt wie vor Medellín. Björns Papa hat Marietta Slomkas Reportage zu Kolumbien gesehen und dabei scheint die Stadt nicht gut weggekommen zu sein – wen’s interessiert; hier der Link zur zweiteiligen ZDF Reportage.

Wir finden, dass wie so oft, dass man sich selbst einen Eindruck verschaffen muss. Denn wer nur Angst hat, bleibt natürlich zu Hause auf dem Sofa kleben und schaut sich bestenfalls die Natur- und Kulturdokus an, anstatt aufs nächste Flugticket zu sparen. Mit bedachter Vorsorge in Hinblick auf unsere Wertsachen sind wir also in den Minibus gestiegen, der uns abends am südlichen Busbahnhof herausgeschmissen hat. Dank des nettesten Taxifahrers Medellíns sind wir relativ unkompliziert, sicher und ohne abgezogen zu werden (alle anderen haben einen exorbitanten Taxipreis erlogen) zu unserem Hostel gelangt.

Das wurde von einem ausgewanderten Ami betrieben und glich eher WG-ähnlichen Apartments. Unser 3er Dorm war perfekt, die Küche und das Wohnzimmer sauber, die Irin in unserem Apartment-Komplex nett und wir knülle. Also sind die Girls nur noch schnell zum Supermarkt mit integrierter Shopping Mall in den Food Court Bereich und haben das menu del dia geschlemmt. Björn ist die kurvige Fahrt nicht so gut bekommen und war bereits fest eingeschlafen als wir zurückkamen.

DER STEIN VON EL PENOL, 1. VERSUCH

Am Tag darauf hing Björn noch schlapp durch, woraufhin sich die Mädels entschlossen, einen Tagesausflug nach zum Piedra del Peñol zu starten. Womit sie jedoch nicht gerechnet hatten, war das Feiertagswochenende der Kolumbianer. Dementsprechend vollgestopft war der Busbahnhof und die Schlangen nach Guatapé riesig. Wie es das Universum so wollte, hat sie jedoch ein amerikanisches Pärchen angesprochen, die eben aus der Schlange noch ein Busticket für einen Bus zwei Stunden später (!) ergattert hatten. Dieses wollten sie gleich wieder verkaufen und sich noch mehr Zeit sparen und mit dem Taxi zum „Stein“ fahren. Und Lena und Maike sollten das Taxi um 2 weitere Personen komplettieren. Gleich zugesagt (denn sonst wären wir erst nachmittags losgekommen) und ein Taxi gesucht, die zwei Tickets verkauft und los ging’s. Natürlich für einen unglaublichen Preis, wenn man sich’s im Nachhinein bedenkt, aber in der Not macht man eben auch verrückte Sachen. Denn schließlich waren wir nur noch weniger als zwei Wochen in Südamerika

Was dann kam, war wirklich außergewöhnlich. Nach einem Unfall ging auf den Straßen nichts mehr und wir saßen ewig zusammengepfercht bei hohen Temperaturen im Taxi fest. Als der Verkehr dann endlich flüssig wurde, nach ca. 1 Stunde, kam dann das Tageshighlight: Unser Taxi wurde von der Polizei herausgewunken. Na klasse! Was hatten wir alle – wirklich ALLE – nicht dabei? Unsere Pässe. Das letzte Mal als wir von der Polizei gestoppt wurden, war nach unserem Dschungel-Abenteuer in Santa Cruz, Bolivien, und die Erfahrungen mit der korrupten Polizei eher lächerlich beschämend als erfreulich. Umso gedrückter war die Stimmung, denn meist bedeutet das Gringo-Abzocke.

Nachdem der Fahrer alle seine Papiere zeigen musste inkl. Wagen verlassen, waren wir an der Reihe. Natürlich wollte die Polizei unsere Pässe sehen… hmm…nur die Amerikanerin hatte eine Kopie dabei (Maike war schön still – erstmal abwarten) und dann verschwanden sie erst einmal Ewigkeiten in ihrem Kabuff. Mit der einen Kopie – keine weiteren Nachfragen. Gefühlte Ewigkeiten später kam der Taxifahrer zu uns und meinte, sie wollen Geld haben. So läuft das wohl. Wieder ewig später (wir immer noch ratlos abwartend im Taxi verharrend) kam einer der Polizisten und meinte so frei übersetzt, die Reise sei hiermit zu Ende, der Fahrer hätte irgendwelche Papiere nicht korrekt präsentiert (keine Zulassung? Wir wissen’s nicht.)… wir müssten uns eine Alternative suchen. Dann wieder Ratlosigkeit

Ein junger Polizist kam erneut vorbei und hat irgendeine Smalltalk-ähnliche Konversation mit Maike gestartet à la „Und, was bevorzugst du? Englisch oder Spanisch?“ – M: „Na, wenn du schon fragst, Englisch!“ Polizist: „Ich kann aber kein Englisch.“ M (Gott, wie blöd ist der eigentlich): „Na, dann Spanisch. Ich muss ja eh üben. Ist also super!“ P (mit imaginärer Sabberschnute und Grinsen): „Was findest du denn so schwierig an der spanischen Sprache?“ M (rafft jetzt erst, dass es ein Flirtversuch werden sollte und steigt voll ein, vielleicht hilft’s der Situation ja!): „Naja (breites Grinsen ihrerseits; unterdrücktes Gekicher von Lena), die Grammatik ist nicht so leicht und manchmal, da fehlen mir einfach die Worte.“ P: „Ja, ja, ich verstehe…“ Und das Szenario ging noch eine Weile so weiter bis Maike ihn die Situation nochmal hat erklären lassen, wir ausstiegen und uns unserem gestrandeten Schicksal ergeben wollten…

Dann wiederum kam der Taxifahrer ins Spiel, der erst die Amerikaner zutextete, die natürlich nichts verstanden und dann zu uns kam, um uns zu erklären, dass er Geld für seine bisher erbrachte Dienstleistung wolle und die Polizei Schuld sei, nicht sein Papierproblem. Nix da, meinte Maike, wir sind hier im Nirgendwo, du hast deine Papier nicht dabei gehabt und alle 2km angehalten, um jemanden zu fragen, wo’s überhaupt lang geht. Dafür zahlen wir nichts… Er, sauer und geknickt, dampft ab und wir bekommen das volle Eskort-Programm der freundlichen Polzisten über die Autobahn, um auf der anderen Straßenseite den Bus zurück in die Stadt zu nehmen. Sie haben darauf bestanden und ganz Gentlemen die komplette Straße für uns lahm gelegt. Im Bus zurück – das ist das Tolle an Südamerika: man kann jeden Bus einfach überall anhalten – haben wir uns kaum eingekriegt vor Lachen und sind die irrwitzige „Keiner-weiß-was-los-ist-aber-wir-flirten-uns-mal-aus-der-Lage-raus“-Situation nochmal im Kopf durchgegangen.

Wieder im Apartment angekommen, haben wir Björn die Story erzählt, der überhaupt nicht unglücklich darüber war, den Quatsch nicht mitgemacht haben zu müssen, und sind zwei Stunden später losgezogen, um das schöne Ausgeh-Viertel Poblado zu entdecken. Fotos gibt es davon nicht, aber wir haben eine Cocktail Happy Hour mitgenommen (Strawberry Daiquiris, die besser aussahen als sie schmeckten) und in einem unscheinbaren Laden outdoor so ziemlich die beste Pizza Südamerikas gegessen (nur die Pizza in Puerto Natales kann da mithalten).

Der Stein von El Penol, 2. Versuch

Anstatt am nächsten Tag die Stadt zu erkunden (man muss sich hier für eine Free Tour anmelden und wir haben nur einen „Termin“ in 2 Tagen erhalten), haben wir unser Glück zum Peñol-Stein zu kommen, erneut versucht. Diesmal hat alles reibungslos geklappt und Björn konnte überhaupt nicht fassen, dass es am Vortag am Busbahnhof so voll gewesen sein soll. Am Stein angekommen, warteten gleich diverse TukTuk– und Pferdetouren-Anbieter auf uns, aber was machen wir? Richtig, erstmal lecker Mittagessen. Vor der Arbeit ist nach der Arbeit. 🙂

Was nun macht diesen Stein so besonders? Er ist einfach eine riesige Felsformation mitten im Nirgendwo. Wie auch immer er da hinkam… Zwei Drittel des Steins sind unter der Erde begraben, ähnlich wie bei einem Eisberg und das, was massiv an der Oberfläche herausragt, ist dank Treppensystem begehbar.

Verunstaltet wurde das graue Etwas dank der Buchstaben GU auf der nördlichen Seite, denn die Ortschaften El Peñol und Guatapé streiten sich schon seit Jahren darum, wem der Stein gehört. Daraufhin hat Guatapé in einer Nacht- und Nebelaktion beschlossen, seinen Besitzanspruch kurzerhand anzumalen. Es hat allerdings nicht lange gedauert und die El Peñol-Bewohner haben von der Aktion Wind bekommen und mit einem Mob die Aktion gestoppt. Seitdem prangert nun „GU“ am Stein.

Der Preis, um die 650 Treppen hoch zu Spitze zu erklimmen, ist horrent und ungerechtfertigt, aber die Kolumbianer lieben ihre Nationalschätze und zahlen die 12.500 COP bereitwillig. Satte 66 Tonnen soll der Stein wiegen und der sichtbare Teil etwa 2.135m hoch sein. Dementsprechend lange dauert das Treppensteigen… nur an uns lag’s nicht, sondern an den beleibten Kolumbianern, die vor uns schnauften und stöhnten.

Die Sicht auf die künstlich geflutete Region ist spekatukulär, auch wenn man sie mit zig anderen oben teilen muss. Wir finden ja, dass es eine tägliche Begrenzung geben sollte, denn teilweise konnte man seine eigenen Füße vor Menschen nicht mehr sehen. Aber alles in allem eine tolle Erfahrung, wenn man bedenkt, dass irgendwelche armen Leute diese Treppen hoch bauen mussten! Beeindruckend!

GUATAPÉ

Danach ging’s weiter nach Guatapé, dem bunten Örtchen am Wasser. Im ganzen Städtchen ist das Landleben an den Häuserfassaden abgebildet, was wie ein begehbares Open Air Museum wirken lässt. Dazu kleine Gassen, eine hübsche Plaza und eine Seepromenade. Was will man als Urlauber mehr? Kein Wunder, dass der Ort überschwemmt mit Kolumbianern war. Überall werden Meeresfrüchte, fettiges Essen, Eis, Kunsthandwerk und Unnützes verkauft. Die Sonne scheint, die Leute sind gut drauf und wer mag, kann Party-Bootstouren unternehmen oder die Zipline quer über das Seeufer ausprobieren. Und ringsherum überall die kleinen Seen, die durch einen hydroelektischen Staudamm angelegt wurden, der ganz Kolumbien mit 30% seines Elektizitätsbedarfs versorgt. Hier scheint die Welt der Kolumbianer noch in Ordnung: Die Männer hängen in den Billiardbars ab, die Frauen tratschen bei einem Kaffee in den Straßen und die Kinder sind überall und nirgends.
Zurück in Medellín angekommen, waren wir platt und haben’s nur noch zum Supermarkt und zurück geschafft.

Sightseeing in Medellin, der einst gefährlichsten Stadt der Welt

An Tag 3 in der Stadt haben wir’s dann endlich zum klassischen Sightseeing geschafft. Die so hoch auf Tripadvisor gelobte Free Tour hatte uns einfach zu begeistern, schließlich haben wir seit unserer Ankunft versucht, einen „Termin“ zu erhaschen. Elendig aufwändiges Prozedere, bei dem sich die Veranstalter bei uns schon vorab ziemlich unbeliebt gemacht haben…

Gegen 11 Uhr am verabredeten Ort ging es nach etwas Verspätung seitens des Guides (noch ein Punkt Abzug) los in die Innenstadt und dort haben wir uns am alten Bahnhof auf den Boden gesetzt und dem Guide gefühlte Ewigkeiten gelauscht wie toll doch die „paisas“ sind, die Bewohner Medellíns also. Die seien angeblich besser und anders als der Rest des Landes. Was wohl daran liegt, dass Medellín geografisch ziemlich abseits zwischen Bergen liegt und alle Siedler (Basken, Juden, indigene Völker) sich durchmischt hätten und nun eine bunte, eingeschworene Sippe seien. Die Kolumbianer halten die paisas für gute Geschäftsmänner/-frauen, die einen aber permanent abzögen, weil sie gute Lügner seien. Die paisas wiederum hielten den Rest für unkultiviertes Pack – so die Aussagen unseres Guides. Na, geht ja gut los mit der Völkerverständigung.

Weitere Errungenschaften der Stadt: Die einzige Stadt mit einer metro (die super sauber ist!), auf die die paisas überstolz sind und sie deswegen nie beschmutzen würden. Und da wäre noch die Seilbahn, die die ärmeren Viertel mit dem Stadtzentrum verbindet. Insgesamt sei die Stadt sehr fortschrittlich, wenn man ihren Hintergrund als einst „gefährlichste Stadt der Welt“ kennt. Denn hier regierte in den 90ern das Drogenregime rund um Pablo Escobar. Der Guide betont aber, die Stadt sei nicht durch Drogen zu Reichtum gekommen. Fun Fact dazu: Escobar war, was „seine“ Stadt betraf äußerst großzügig und wird dafür bis heute noch von vielen geschätzt. Er war so vermögend, dass er einmal anbot Kolumbiens Auslandsschulden zu begleichen. Pro totem Polizisten zahlte er seinen Auftragskillern 1000 USD und von Tourismus konnte damals nicht die Rede sein bis er 1993 auf einem Dach inMedellín von Sicherheitskräften niedergeschossen wurde. Heute sind Blumen, Kaffee und Textilien Wirtschaftsfaktoren der Stadt.

Der Grund, warum Medellín nicht Hauptstadt ist, ist leicht: Bogotá wurde zuerst gegründet und kann noch wachsen, wohingegen Medellín auf ewig bei rund 2.5 Mio Einwohnern bleiben wird. Denn die Stadt liegt in Tälern und die Berge werden sich nicht vol allein wegschieben.

Bevor es dann endlich mal losging, warnte uns unser Guide mit der „Papaya“-Regel vor Diebstählen. Biete keine Papaya (also Gelegenheit) an, denn wenn du eine Papaya angeboten bekommst, nimm sie. Ziemlich lahmer Vergleich, aber wirksam. Kameras immer umgeschnallt lassen, Handys immer schnell zücken und dann wieder ran den Körper. Wie praktisch, dass unsere Kamera geklaut wurde. Nix mit Vorsichtsmaßnahmen. Und die GoPro konnte Björn leicht verstecken… Dann ein fließender Übergang zur kolumbianischen Mentalität, die durchweg freundlich ist. Ein scheinbar glückliches Volk, das lächelt und sich auf der Straße grüßt. Das sei vor 20 Jahren so noch nicht möglich gewesen, denn – Achtung, danach kommt der Geschichtsteil – der kolumbianische Konflikt, von dem jetzt noch viele Gerüchte zehren, war allgegenwärtig.

Der Sehenswürdigkeiten-Teil ist schnell erzählt: Vorbei am Plaza de las Luces, einst der gefährlichste Platz Medellíns, auf einen Bummel entlang des inoffiziellen Marktplatzes, der aus einer Laune heraus entstand und von der Polizei geduldet wird… auf ein Guarapó (grünliche Limo aus Limette und Zuckersirup), das einem von jedem zweiten Marktschreier auf der Straße angeboten wird („a la orden! guarapoooo, guarapooo!), hinüber zum schrägen Plaza Botero mit seinen dicken Figuren. Über Botero erfahrt ihr im Bogotá-Beitrag mehr. Den mochten wir nämlich ganz gern.

Unser Guide Pablo war für unseren Geschmack etwas zu aufgesetzt theatralisch, hat die Liebe zu seiner Stadt aber ganz gut herübergebracht. Spätestens als er aber meinte „you are the change, guys!“ wurde es uns aber etwas zu viel… klar, ist es toll, dass sich jetzt wieder Touristen in die moderne, aufgeschlossene Stadt trauen, aber den großen Wandel zu proklamieren, fanden wir etwas zu gewagt oder vielleicht auch nur einschüchternd. Das Tolle ist, dass sich kein Schwein für dich interessiert (sofern keine Wertgegenstände offenkundig herumgetragen werden) – das ist schon ziemlich kosmopolitisch. Aber die vielfach gelobte Travellerstadt haben wir in Medellín nicht entdecken können; dafür konzentriert sich der „schöne“ hippe Part doch zu sehr im Poblado-Viertel und Downtown ist einfach nur Downtown.

Die paar netten Gebäude findet man wie eh und je auch in jeder anderen Stadt: Es gibt immer irgendwo eine ansehliche Kirche und ein paar Skulpuren. Der AHA-Effekt war dank vorzeitiger Begeisterungsausbrüche anderer Traveller einfach nicht da. Es ist eine sehenswerte Stadt mit irre viel Geschichte, deswegen ist eine Walking Tour wirklich sinnvoll. Aber „zu sehen“ in dem Sinne gibt es nicht viel. Da hat uns Bogotá, wovon uns jeder abgeraten hat mehr als 1 Tag dort zu verbringen, richtig geflasht! Wir hätten locker noch ein-zwei Tage mehr drauflegen können. Super vielseitig, so viel zu entdecken und wirklich zu „sehen“…wohingegen Medellín sich eher erlesen oder erzählt werden muss. Und wo wir beim Erzählen sind – Pablo hat sich die allergrößte Mühe gegeben, seine Landgeschichte überspitzt und kurz zusammengefasst wiederzugeben. Hier unser Versuch einer Aufarbeitung – JETZT kommt Geschichte pur.

Kolumbianische Geschichte schnell erklärt

Alles begann mit dem Mord eines ziemlich beliebten, liberalen Präsidentschaftskandidaten (der Typ auf der 1000 Pesos-Note) in den 1940ern. Das Volk war ziemlich sauer und beschuldigte die Konservativen. In der Tat war das Volk sooo aufgebracht, dass es die halbe Innenstadt zerstörte. Ab dann haben sich beide Parteien rund 10 Jahre nur bekriegt; jeder, weil er dachte, der andere sei Schuld am Mord des Politikers auf offener Straße. In den Geschichtsbüchern bekannt als Bürgerkrieg „La Violencia“; Bilanz: über 300.000 Tote. Dann, in den späten 50ern, formierte sich Guerillas aus dem revolutionären Pool aus Liberalen und Konservativen; allem voran die „linke Armee“, die nach dem Leben der „Bösen“ (also der vermögenden Elite) trachtete, denn das sei das Hauptproblem in der Gesellschaft.

Die Armee war natürlich illegal und richtete ihren Zorn vor allem gegen die Landbesitzer, großen Firmen und das Besitzbürgertum. Da die Oberschicht seitens der Regierung nicht beschützt wurde, formierten sie im Gegenzug ihre eigene Armee, die „rechte Armee“. Logo. Die größten und gefährlichsten „Player“ sind die FARC, die ELN (nationale Befreiungsarmee), M-19 (Bewegung des 19. April) und die AUC (Todesschwadronen, die sich aus reichen Kolumbianern zusammensetzen). Bis zum Eklat gab es drei große Akteure in diesem mörderischen Wirr-Warr: die linke Armee, die rechte Armee und die Regierung selbst. Welcher vierte Akteur trieb dann alles auf die Spitze? Richtig, das Drogenkartell. Zwischenfazit: Alle sind gegeneinander.

Linke gegen Rechte und mittendrin die Regierung, die de facto auch nur aus Links und Rechts bestand. Für die Außenwelt ist diese Schlammschlacht natürlich kein gutes Omen, in Land und Leute zu investieren. Die Kooperationen und Exporte waren also miserabel; die Forderungen der UN nach einer Lösung der Probleme wurden immer lauter. Die Regierung gab alles, um das nebenher florierende Drogenbusiness einzudämmen (in den 90er Jahren), indem sie Helikopter mit Pestiziden beladen über die Coca-Plantagen fliegen und fleißig alles totsprühen ließ; auch Bodentruppen sollten die Farmen vernichten.

Und so wurde alles erst viel schlimmer, denn die Drogen-Nachfrage aus Europa und Nordamerika war natürlich weiter da (das eigentliche Kernproblem!), aber die Drogenbosse (die in den Städten lebten) fürchteten um ihre Pflanzenzucht auf dem Land. Also haben sie die Einheimischen (die entweder Anhänger der linken oder rechten Armee waren) gegen viel Geld und Waffenlieferungen das Beschützen ihrer Ländereien schmackhaft gemacht und sie beauftragt jeden zu eliminieren, der sich dem Zaun ihrer Plantagen auch nur näherte. Geschickter Zug, denn so konnte jeder den anderen mit viel Waffenarsenal totballern. Et voilà, die Katastrophe nahm ihren Lauf… Seitdem das Geld die politische Bühne betrat, ging es also vornehmlich ums Töten, weil es ein profitabler Prozess war und den politischen Konflikt vorantrieb. Übrigens gab die Regierung das Totsprühen als Teilerfolg aus, obwohl zig landwirtschaftliche Ländereien ruiniert waren und die Kokabauern in die Nationalparks flüchteten, wo Sprühen verboten war.

Auf die Frage, wie die normalen Kolumbianer zu harten Drogen stehen, hatte der Guide folgende Antwort: Die ältere Generation ab 35+ mögen das Zeug nicht, denn es stünde für Zerstörung, Gewalt und den Tod. Die Wahrnehmung unter den Jüngeren ändere sich jedoch, weil sie die Konflikte nie richtig mitbekommen haben und auch mehr Wohlstand besäßen als die Generationen zuvor.

Die Regierung (mal unter liberaler, mal unter konservativer Präsidentschaft) unternahm immer wieder Versuche die Guerillas zum Frieden zu bewegen und in den politischen Prozess einzubinden. Mal gelang das, mal nicht. Paramilitärische Gruppen sind bis heute im Land aktiv und zum Zeitpunkt unserer Einreise ins Land gab es wieder Warnungen vom Auswärtigen Amt, dass das südliche Kolumbien nicht mehr sicher für Touristen sei, trotz Abkommen mit der FARC keine Personen mehr zu kidnappen. Außer sehr viel Militär- und Polizeipräsenz auf den Straßen und in Bussen haben wir nicht viel mitbekommen. Aber ein gutes Gefühl ist es nicht, wenn alle paar Stunden Soldaten mit Sturmgewehren in deinen Bus steigen und alle Pässe kontrollieren.

Bis heute ist Kolumbien Nummer Eins-Produzent von Kokain, obwohl mithilfe amerikanischer Gelder (6 Mrd. USD) alles unternommen wird, den Anbau und Schmuggel einzudämmen. Dass auch wir ein bisschen paranoid wurden, haben wir daran gemerkt, als wir vor Abflug in die Staaten unser Gepäck komplett ausgeleert haben, um jede Ritze nach eventueller schmuggelware zu inspizieren. Am Flughafen haben wir unsere Backpacks dann in Folie einwickeln lassen, sodass auch kein Flughafenmitarbeiter last minute nochmal ein Tütchen hineinpackt. Die Strafen sind hart und es gibt keine Gnade vor den Behörden, liebe Leute. Und wir dachten uns: Supi, Einreise nach L.A. über Kolumbien mit Zwischenstopp in Mexiko. Die filzen uns sowieso bis auf die letzte Pore. Ob es so war, könnt ihr im L.A.-Artikel nachlesen. 🙂

Noch mehr Einblick in Pablos Macht: In den 80ern hatten die Drogenbosse so viel Einfluss, dass selbst der berühmte Pablo Escobar 1982 sogar in den Kongress gewählt wurde. Die Regierung startete ein Jahr später aber die Kampagne gegen den Drogenhandel, die sich schnell in einen regelrechten Krieg verwandelte. Mal wieder musste ein liberaler Präsidentschaftskandidat dran glauben (Galán, 1990 ermordet). Der nächste Präsident, Gaviria, schaffte es dann aber doch dank Verfassungsänderungen halbwegs Ruhe in den Konflikt zu bringen (z.B. durften keine Kolumbianer mehr aneinander ausgeliefert werden). Spektakulär war dann die Jagd nach Escobar, die nach 499 Tagen mit seinem Tod auf einem Medellíner Dach endete.

In den 2000ern kam „Iron Fist“ Uribe an die Macht, der sehr viel Geld ins Land steckte und außerordentlich viel Militärpräsenz verordnete. Er versprach der Bevölkerung, das Land wieder sicherer zu machen und hielt Wort. Innerhalb eines Jahres ist Kidnapping-Rate um 90% gesunken und die von Rebellen blockierten Straßen hat er mittels Militär wieder geöffnet. Angriffe auf die Guerillas standen an der Tagesordnung – auch während seiner zweiten Präsidentschaft. Die konnte er übrigens nur antreten, weil er eine eigene Partei gründete (EU). Beim dritten Versuch ist er gescheitert (wollte dafür Verfassung ändern) – hat stattdessen eine Art Marionette (Santos) als neuen Präsidenten eingesetzt. Er vertrieb die linke Armee bis in den Regenwald, wo sie (angeblich) bis heute isoliert und geschwächt leben.

Natürlich war auch er nicht frei von Skandalen. Die größte Schande seines Militärs war wohl, unschuldige Kolumbianer zu töten, um sie in Rebellenkleidung zu stecken und so Beförderungen und Sonderurlaube zu ergattern. Auch Harrison hat uns in San Agustin davon erzählt. Auch seine Familie bekam immer wieder „Besuch“ von der FARC und musste Bestechungsgelder zahlen, damit sie die Familie in Ruhe ließen. Als vermeintlich nichts mehr da war und die FARC mal wieder mehr wollte, haben die Rebellen ziemlich unmissverständlich angedeutet, dass die Familie einen Sohn hätte, den sie wohl gerne weiterhin lebendig aufwachsen sehen würden. Daraufhin war die Angst so groß, dass sie Harrison nach Köln zu seiner ausgewanderten Tante geschickt haben (mit 17 Jahren!) und die Familie alles aufgab und in eine andere Stadt zog. Krasse Story, oder?

Der Schmerz über die Hinrichtungen an den ca. 3.000 jungen „falsos positivos“ (falschen Positiven; meist ungebildete Kleinbauern) ist immer noch groß. Man habe sie mit gut bezahlter Arbeit in der Stadt zu einer Art Bewerbungsgespräch gelockt und dann systematisch umgebracht. Präsident Uribe hat nach dem UN-Sonderbericht angeblich eine Säuberungsaktion innerhalb seines Militärs eingeleitet; Strafverfolgungen gab es aber nie.
Skandal Nr. Zwei wurde von einem Magazin offenkundig gemacht – sie berichteten, dass der kolumbianische Geheimdienst (ähnlich der Stasi, „DAS“ genannt) die Telefone von Richtern, oppositionellen Politikern, Journalisten und Menschenrechtlern abhörte.

Die letzten Berichte bezüglich der FARC (linke Armee) werden euch bestimmt erreicht haben. Nachdem sie die letzten zehn Jahre eher geschwächt im Hintergrund waren und 2011 ihr Anführer und Chefideologe Alfonso Cano erschossen wurde, gab es 2012 endlich die langersehnten Friedensgespräche mit der Regierung. Jetzt, nur ein paar Wochen vor unserer Einreise (Juni 2015), gab es erneute Attacken auf Soldaten der Regierung, wirtschaftlich wichtige Anlagen (Öl… was auch sonst) und Infrastruktur des Landes.
Wir haben euch ein wenig Hintergrundmaterial zusammengestellt:

Deutsche Welle
Neue Zuercher Zeitung
Colombia Reports
Deutsche Welle 2

Soviel sei gesagt: Der neueste Stand ist, dass sie wieder am Verhandlungstisch sitzen und die Regierung der FARC zusichert, ihre Militärpräsenz deutlich einzuschränken, wenn diese ihre Gewaltaktionen sofort einstellen. Dafür hat sich Santos durchgerungen ein 4-Monatsultimatum zu verkünden. Dann muss sich zeigen, ob ein endgültiger Friede möglich sei. Die Frage nach Schuld und Opfern spaltet beide Gruppen aber immer noch; Eingeständnisse bleiben aus.

Das klingt jetzt alles ganz schön düster. Wir wollen aber keineswegs von einem Kolumbien-Urlaub abraten. Neben Peru und Chile gehört Kolumbien zu unseren Spitzenländern im Südamerika-Ranking! Nirgends sind die Leute aufgeschlossener, freundlicher und hilfsbereiter. Unsere Kamera hätte in jedem anderen Land gestohlen werden können – war einfach nur Pech und zu wenig Vorsichtsmaßnahmen. Uns wurde nie auch nur ein Finger gekrümmt, wohingegen Argentinien im Gewalt- und Diebstahlranking bei ALLEN Travellern auf Nummer Eins steht. Maike kam mit ein paar blauen Flecken und einem Besuch beim Polizeirevier davon.
Besucht KolumbienFLIEGT DA HIN – ihr werdet es lieben und jedem nächsten Reisenden dazu raten! Um es theatralisch mit den Worten unseres Guides zu sagen „Ihr seid der Wandel!“

Nützliches:
Real City Walking Tour  auf Tripadvisor und hier geht’s zur Anmeldung
– Übernachtung im International House Medellín: (informiert euch auf Tripadvisor, ob euch das gefallen wird – wir wurden auf ein Dinner mit Rum-Cola auf dem Dach eingeladen; Apartment-Charakter hat uns sehr gut gefallen, aber die Lage ist ein großer Minuspunkt; und wer Anschluss finden will, ist hier nicht so gut aufgehoben; für Langzeitbleiber top, weil kein muffiger Hostel-Dreckcharakter)
– Flug von Medellín nach Cartagena ziemlich last minute für ca. 70€ pro Person
Taxipreise immer unbedingt verhandeln; dazu vorher immer einen Einheimischen nach dem echten Preis befragen
Juanes kommt aus Medellín… na, wenn das mal nicht ein Grund ist! YOUTUBE La Camisa Negra