Wir zwei führen ja seit Jahren eine anonyme Liste der bewohnbarsten Städte für Berlin-Verwöhnte (Berlin, keine Angst, du wirst auf ewig unsere No. 1 bleiben – die wahre Liebeserklärung hier) und sammeln heimlich Alternativen. Neben Potsdam, Leipzig, Bamberg und Dresden gehören nur wenige Städte im Ausland dazu, wie etwa Cusco in Peru uuuund… tattatataaa… Berkeley, Kalifornien! [OK, inzwischen sind wir schon weiter gereist und müssen Portland, Oregon mit in diese Liste aufnehmen…dazu bald mehr].

Warum wir Berkeley lieben gelernt haben:

1. Eine Universitätsstadt mit progressivem Flair

Oja, das fällt auf! Berkeley ist jung und wird es immer es immer bleiben, sofern die Stadt ein Unistandort bleibt. Seit den 1960er und 1970er Jahren gilt Berkeley als Symbol für Andersdenkende, denn es war dieser Universitätscampus, auf dem Studenten eine nationale Protestbewegung gegen das amerikanische Engagement im Vietnamkrieg (1959–1975) durchführten.

Wer sich schon immer gewundert hat, warum das chemische Element der Ordnungszahl 97 in eurem Periodensystem der Sekundarstufe I „Berkelium“ heißt, kann jetzt aufatmen: Es wurde natürlich nach Berkeley benannt! Denn Berkeley ist ein bedeutendes Zentrum der Kernphysik.

Hier wurden zahlreiche Transurane erstmals in Teilchenbeschleunigern erzeugt (OK, fragt uns nicht, was das genau bedeutet). Im Wikipedia-Artikel gibt es dazu diesen schönen Satz, der den Charakter der Stadt ganz gut beschreibt: „Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, wurde 1986 das Stadtgebiet zur atomwaffenfreien Zone erklärt, um so Forschungsarbeiten an Atomwaffen verbieten zu können.“ Gewusst wie, oder? Die UC Berkely bleibt größter Arbeitgeber der Stadt, gefolgt vom Research Labor, dem Krankenhaus und dem Pharmariesen Bayer AG.

Die Uni ist im Stadtzentrum omnipräsent. Wir hätten kilometerlang über den Campus laufen können (insg. 5 km²), SO GROSS ist das Unigelände. Wir ihr am Titelbild erkennen könnt, wird hier selbst in den Cafés fleißig studiert… Mac-Produkte sind dabei allgegenwärtig. Neben der Uni gibt’s noch eine Architektenschule, ein Zentrum für angehende Theologen und das City College. Dann noch 4 Highschools (3 davon Privatschulen, man gönnt sich ja sonst nichts, was?) und zahlreiche Forschungseinrichtungen.

Aber nochmal zurück zur Uni: Hier studieren mehr als 36.200 Studenten, die der Grund sind, etwa 2.000 Professoren zu beschäftigen. Es ist der TOP-Unis der Vereinigten Staaten und wird mit 72 Nobelpreisträgern in Verbindung gebracht (hier wurden allein 16 Elemente des Periodensystems entdeckt). Gegründet 1866 ist das heutige Wahrzeichen der Sather Tower (auch als Campanile bekannt), der uns bei unserem ersten Besuch über eine halbe Stunde lang mit seinem Glockengeläut in den Ohren lag. Besonders Biologie, Chemie und Physik ist hier der hoch angepriesene Renner unter den Studienfächern – wir haben uns mal als Studenten ausgegeben und waren im Physikgebäude stöbern – naja, eher pfui als hui. Sehr altbacken, alte Stühle, kleine Räume, triste Linoleum-Böden… aber wer weiß, wie’s in den Forschungsräumen ausschaut? Irgendwoher muss die gute Reputation ja kommen?

Was Berkeley bis heute als intellektuelle, kulturelle und progressive Hochburg der USA hält, ist auf die Studentenbewegung der 1960er Jahre zurückzuführen. Soweit, so gut. Es begann mehr oder weniger mit dem Redeverbot des radikalen Bürgerrechtlers Malcolm X (was für eine Biografie – besser als jeder Film!) auf dem Campus und dem Verbot, auf dem Campus Spenden zu sammeln oder politisch Stellung zu beziehen.

Die betroffenen Studentengruppen gründeten daraufhin das Free Speech Movement, welches sich für die Freiheit der Rede einsetzte. Eine Protestwelle, die auch bis nach Deutschland überschwappte (die berühmten 68er). Weiterer Fun Fact: Die 32 Unibüchereien mit ca. 10 Mio Bänden und einem Platzverbrauch von 50.000 m² macht Berkeley zu einem der größten Bibliothekssystemen der Welt. Kommen wir mal zu spannendsten Part der Gegenwart: den Studiengebühren. Im Jahr 2012/2013 betrugen die nämlich stolze 12.834$ für Ortsansässige und schlappe 35.715$ für alle von außerhalb. Kein Schnäppchen, also lieber fleißig studieren, um die Kosten nicht noch weiter durch weitere Semester in die Höhe zu treiben.

2. Coole, kleine Stores und Cafés

Oh my, was hätten wir nicht noch alles stöbern können? Es macht wirklich, wirklich Spaß hier ein bisschen window shopping zu betreiben… die Fotos fangen den Charme der Stadt leider gar nicht so richtig ein. Hier ist alles auf lokale Künstler und Hersteller ausgerichtet und das Kreative spürt man auch, wenn man die Läden betritt. Eine wahre Augenfreude! Unsere Lieblinge waren „Gorgeous & Green“ (ein Mix aus Florist & Boutique), Moe’s Books (ein Bücherparadies auf mehreren Etagen), „Cream“ (grenzt schon an Perversität, Eis zwischen zwei riesengroße, warme Cookies zu pressen: süß-süßer-lecker! So etwas Hochkalorisches können sich auch nur Amis ausdenken.), der „Sockhop“ auf der Telegraph Avenue (ein Paradies für Sockensammler – DAS sind originelle Weihnachtsgeschenke, wenn es denn schon Socken sein müssen!) und so viel mehr… Lauft durchs Elmwood-Viertel und ihr werdet aus dem Staunen und Schlendern nicht mehr herauskommen. Ein echt schönes Fleckchen Erde!

3. Gute Größe, die mehr bietet als langweilt und mehr fördert als überfordert

Die Stadt ist nach dem in Irland geborenen Philosophen George Berkeley benannt und hat überschaubare, aber dennnoch ordentliche 102.743 Einwohner. So groß, dass man jeden Tag was Neues anstellen kann und doch so klein, dass man immer jemanden auf der Straße treffen könnte. Und gute Theater und Museen haben sie auch noch, wie etwa das Berkeley Art Museum & Pacific Film Archive. Was will man mehr? Ringsherum grün und viel Wasser noch dazu. Alles, was man zum Leben und Leben lassen braucht. Bis auf die Erdbeben vielleicht.

4. Viel Kultur und eine tolle Restaurantszene (u.a. im Gourmet-Ghetto)

Berkeley ist ein Schlemmer-Zentrum und die wohl bekannteste Dame der Szene ist SlowFood-Revolutionärin Alice Waters, die das Restaurant „Chez Panisse“ in der Shattuck Avenue für alle Zeiten in den SlowFood-Himmel befördert hat. Obwohl immer mal wieder kurz vor der Schließung stand, da das Geld fehlte. Hier werden nur lokale Produkte verwendet, die Beziehungen zu jedem einzelnen Bauern und Lieferanten sind exzeptionell, weiterverarbeitete Lebensmittel sucht man vergebens und alles wird eben seeeehr langsam und schonend gekocht.

Da kann man schon mal eine Stunde aufwärts auf sein Essen warten. Hier sollte man Zeit und Geld mitbringen. Da ziehen Saucen und Eintöpfe über Tage, um den richtigen Geschmack zu entfalten und das Ambiente ist schummrig-gediegen. Wer mehr erfahren will über Alice Waters, kann das in jedem Buchladen tun: Sie ist auch gefeierte Autorin und erhielt erst kürzlich von Präsident Obama die „National Humanities“ Medaille für ihre Bewegung.

Der Tagesspiegel hat in einem Artikel auch schon über sie berichtet – damals habe ich das erste Mal von ihr gehört. Auch die Süddeutsche hat einen fantastischen Artikel über die Lady verfasst – sehr lesenswert!

Aber natürlich gibt es neben „Chez Panisse“ noch viel mehr zu entdecken! Dafür läuft man einfach die Shattuck und Vine Street auf und ab und befindet sich damit direkt im „Gourmet Ghetto“ – ein gefestigter Begriff der Stadt. Die Facebook-Seite hält euch immer auf dem Laufenden – mit vielen gratis Events! Uuuund jetzt kommt wohl DER Geheimtipp, von dem wir erst in Seattle erfahren haben: Jeden Sonntag kann man im buddhistischen Thai Tempel „Wat Mongkolratanaram“ brunchen gehen. Die Schlangen seien wohl relativ lang, weil sich der Tipp schon so weit herumgesprochen hat (auch Leute aus San Francisco reisen extra dafür an!), aber die Qualität und das Ambiente sollen wohl außergewöhnlich sein. Man tauscht seine Dollar gegen Chips (token: 1 Dollar = 1 token); jedes Essen kostet zwischen 5-8 glänzende Wertmünzen. Wer umfreundlich denkt, bringt am besten seinen eigenen Teller + Besteck mit. Coole Sache! Machen wir das nächste Mal – alle Infos dazu gibt’s hier auf Yelp.

5. Keine aufgesetzte Coolness: unangestrengt hip und doch normal

Fühlt sich an wie in Berlin. Jeder kann tun und lassen, was er will. Niemand muss irgendwas oder irgendwer sein. Just be.

6. Super Anschluss zu anderen, größeren Städten wie Oakland oder San Francisco

Um die Entfernungen mal ein bisschen deutlicher zu machen: 13,9 Meilen nach San Francisco, was je nach Verkehrslage zwischen 25 min und 1 h dauert. Ziemlich OK. Auch Oakland ist super nah; nur 5,2 Meilen; erreichbar in 15 Minuten. In einer Stunde und 15 Minuten ist man schon im kalifornischen Weingebiet Napa Valley (48 Meilen), Muir Woods liegt nur 26 Meilen und ca. 50 Minuten entfernt… die Liste könnte nur so weitergehen. Berkeley hat eine super Lage!

7. Natur pur rundherum

So ähnlich wie Punkt 6, nur noch grüner! Das Aushängeschild für Erholungsbedürftigte ist zeitgleich unsere Hundelaufstrecke mit Greta: der Tilden Regional Park. Wohl der schönste Erholungspark der gesamten East Bay und mit 841 ha Größe auch perfekt für mittlere bis lange Wanderungen – hier die Trail Map.

Spektakuläre Ausblicke hatten wir eigentlich immer zur Zeit der Sonnenuntergänge mit Sicht auf die Bay Bridge, die Golden Gate Bridge und die Inseln – wirklich traumhaft! Die hippen Kids in ihren dicken Autos haben die Aussichtspunkte aber am liebsten für den Genuss ihres grünen Wunders genutzt: Marihuana konsumiert sich mit Ausblick ja auch viel besser, gell? Kleines Familien-Highlight ist die Steam Railway, eine Miniatur-Dampflok, die quer durch den Wald führt. Und überall an den diversen Parkeingängen gibt’s Gratis-Flyer mit Kartenmaterial und richtigem Verhalten im Falle einer Berglöwenattacke (mach dich größer, bleib ruhig, entferne dich langsam; im Falle einer Attacke: „fight back!“ – jawolla!). Über die einzelnen Trails und Seen findet ihr auch mehr in unserem Workaway-Blogeintrag „Dogsitting in Orinda“.

Eine weitere, kleine Erholungsoase ist der Rosengarten in Berkeley: wunderschöne, exotische Rosensorten mit noch viel lustigeren Namen („Rocky Robin“). Und Herr Thomas Wadsworth hätte seinen eingemeißelten Spruch nicht schöner formulieren können: „Though seasons change, the Beauty of the Rose, vital and pure, in the light of spring’s morning, like the sun, lives forever, eternally warming the hearts of us all.“ Defintiv einen Abstecher wert – am besten mit einem kleinen Snack kombiniert, denn es gibt viele Bänke.

8. Super Klima, denn – hey – es ist Kalifornien! Sonnenschein pur im Golden State!

Hach, das Wetter ist zum neidisch werden! Genau wie wir es wollen: Nicht zu heiß, aber definitiv T-Shirt-kompatibel! Wir sind ja nicht so die Leute, die sich tagelang bei knalligen Temperaturen am Strand gut geröstet brutzeln, sondern eher die aktiven Natur- und Schlemmerreisenden. Deshalb gefällt uns Berkeley auch so gut: Im Winter geht’s fast nie unter 0°C (im Januar ist es mit 7-13°C am kältesten) und im Sommer übersteigt es die 25-27°C nur selten. Kein Schwitzewetter, sondern genau Betriebstemperatur! Lässig! Und so viel Sonne! Von März bis Oktober gibt’s fast immer zwischen 8 und 11 Sonnenstunden am Tag! Kein Wunder, dass die in Kalifornien alle so gut drauf sind! Denen fehlt einfach kein Vitamin D! Lediglich von Dezember bis März gibt’s durchschnittlich 10 Regentage im Monat, aber wenn man Berlin dazu vergleicht: 16-17 Tage Regen pro Monat und viel, viel kälter! Berlin erreicht sein Sonnenstunden-Maximum im Juni mit gerade mal 8 Stunden (das hat Berkeley schon ab März bis durchgängig Oktober!)! Ja, Berkeley macht glücklich!